Drachenritter 02 - Der Drachenritter
an. »Das ist gutes Blut, ist schon seit Generationen in meiner Familie. Habe nicht den geringsten Anlaß, mich dessen zu schämen – lauft bloß nicht rum und posaunt es jedem Tom, Will oder Hall gegenüber hinaus. Wenn Ihr's unbedingt wissen wollt, ich will die Unterseite des Schiffes inspizieren und feststellen, woran es festsitzt!«
Splitternackt lief er zur Reling, kletterte hinüber, verharrte einen Moment lang, dann ließ er los und landete mit einem lauten Platschen im Wasser. Jim, der ihm instinktiv nachgestürzt war, bekam gerade noch mit, wie Sir Giles sich bei der Berührung mit dem Meer in einen schlanken, grauen Seehund verwandelte. Der Seehund brachte sich in die richtige Lage, streckte den Kopf aus dem Wasser, schaute kurz mit Sir Giles Augen zu Jim hoch, bellte einmal, dann drehte er sich um und tauchte.
Jim blickte eine Weile auf die dunkle Meeresoberfläche hinunter. Das also war Sir Giles spezielle Gabe. Er war das, was man allgemein als Silkie bezeichnete, jemand, der, um eine alte Definition zu zitieren, ›an Land ein Mensch und im Meer ein Seehund‹ war.
Jim wandte sich um und eilte wieder nach vorne zum Bug, wo Brian gerade damit beschäftigt war, den Schiffsführer zu ohrfeigen. Die übrigen Besatzungsmitglieder zeigten keinerlei Neigung einzugreifen. Jeder der sechs Männer trug zwar ein langes Messer in einer Scheide am Gürtel, doch entweder wegen Sir Brians Schwert oder weil er ein Ritter war – vielleicht aber auch einfach bloß deshalb, weil sie dem Kapitän die Schuld an dem Unglück gaben und darum fanden, er habe die Bestrafung verdient –, hielten sie sich zurück.
Jim zuckte zusammen. In mancherlei Hinsicht war Sir Brian ein Ausbund an Sanftheit und Freundlichkeit; allerdings richtete er sein Leben auch nach so harten Grundsätzen aus, daß Jim und Angie die allergrößten Schwierigkeiten hatten, sich daran zu gewöhnen. Jim näherte sich Brian und packte ihn beim Arm.
»Brian!« sagte er eindringlich. »Was tut Ihr denn da?«
Brian blickte sich finster nach ihm um, doch dann, als er Jim erkannte, hellte sich seine Miene auf. »James«, sagte er, »dieser Kerl hat den Verstand verloren. Ich bemühe mich bloß, ihm wieder etwas Vernunft einzubleuen.«
»Das wird Euch nicht gelingen«, meinte Jim. »Er ist traumatisiert.«
»Traum…?« Brian blickte ihn verständnislos an. »Äh… James, meint Ihr damit vielleicht etwas Magisches?«
Jim hatte das Wort gebraucht, das ihm auf der Zunge gelegen hatte, ohne daran zu denken, es in die Sprache dieser Welt zu übersetzen oder sich Rechenschaft darüber zu geben, ob es selbst dann, wenn er es angemessen übersetzt hätte, für Brian überhaupt verständlich gewesen wäre. Einen Moment lang war er versucht, es zu erklären, doch dann erinnerte er sich an die vielen Male, da er sich bemüht hatte, die Kluft zwischen einer mittelalterlichen Gesellschaft und der technologischen des zwanzigsten Jahrhunderts zu überbrücken, und er hielt seine Zunge vorsichtshalber im Zaum.
Die Wahrscheinlichkeit war groß, daß Brian ihn nicht verstehen würde, ganz gleich, was er sagte. Von Brians Standpunkt aus betrachtet war es vollkommen vernünftig, einen verwirrten Kopf solange zu schütteln, bis die Einzelteile wieder einrasteten, so wie man in Jims Welt gegen eine Maschine geschlagen oder getreten hätte, um sie wieder zum Funktionieren zu bringen.
Außerdem gab es wichtigere Dinge. So unvernünftig es auch schien, war dies wieder mal einer der Fälle, wo es leichter war zu lügen als die Wahrheit zu sagen.
»So könnte man es ausdrücken, Brian«, sagte Jim, »aber im Moment gibt es etwas Wichtigeres. Wir müssen unter vier Augen reden.«
»Sehr richtig«, antwortete Brian und wandte sich zum immer noch teilnahmslosen Kapitän um. »Laßt uns ein Stückchen zum Heck hinübergehen – halt!«
Das letzte Wort brüllte er mit der Autorität eines Mannes, der es gewohnt war zu befehlen.
»Dem ersten, der das Rettungsboot anrührt, ohne von Sir James oder von mir dazu aufgefordert worden zu sein, haue ich den Arm ab!« fauchte Brian.
Vier der Besatzungsmitglieder, die sich dem Beiboot genähert hatten, das geeignet war, normalerweise drei, höchstens aber vier Personen aufzunehmen, hielten unverzüglich inne.
»Ihr bleibt alle beim Kapitän im Bug!« befahl Brian. »Wenn ich mich umschaue und mitbekomme, daß einer aus der Reihe tanzt, knöpfe ich ihn mir vor!«
»Und nun, James«, wandte Brian sich an Jim, »laßt uns ein Stückchen
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