Drachenritter 02 - Der Drachenritter
befand sich ihr Gepäck, ungeschützt und jedem Dieb zugänglich, ob es sich nun um einen Bediensteten oder einen Fremden handeln mochte.
Jedenfalls hatte er sich so gesetzt, daß er die Treppe im Auge behalten und jeden, der nach oben ging, sehen konnte. Des weiteren hatte er dafür gesorgt, daß alle Bediensteten des Gasthofs wußten, daß er ein Magier war; und zu guter Letzt bewahrte er den Schild unverhüllt im Zimmer auf, damit Wappen und Farben jedem Eintretenden gleich ins Auge fielen.
Der gewöhnliche Mann von der Straße mochte vielleicht nicht lesen können – was in Anbetracht der Tatsache, daß die meisten Ritter und ein Großteil des Adels nicht lesen konnten, viel zu zurückhaltend ausgedrückt war –, kannte sich ungeachtet seines Bildungsstandes aber auf jeden Fall mit Wappen aus. Jim hatte nicht den geringsten Zweifel, daß die Farbe Rot sowie der Hinweis, daß der Besitzer ein Magier war, ausreichen würden, um jeden potentiellen Dieb abzuschrecken.
Da der Schild darauf hindeutete, daß einer der drei Ritter über magische Fähigkeiten verfügte, würde jeder Eindringling daraus schließen, daß das Gepäck durch irgendeinen Zauber geschützt war; oder, falls dies nicht der Fall sein sollte, daß der Magier schon davon erfahren werde, wenn jemand den Versuch unternahm, irgend etwas zu entwenden.
Daher fühlte sich Jim im Hinblick auf das Gepäck recht sicher, was von Vorteil war, da sie nur zu dritt waren und nicht ständig einen Aufpasser abstellen konnten. Desgleichen kannten sie keine verläßliche Person in dieser französischen Hafenstadt, die sie zur Bewachung des Gepäcks hätten anheuern können. Die Wahrscheinlichkeit war groß, daß die betreffende Person sich selbst bedient hätte, anstatt aufzupassen.
Die magische Drohung war bedeutend wirksamer, erheblich realer und viel verläßlicher. Nicht nur das; die Menschen neigten dazu, etwas, das sie nicht kannten und nicht sehen konnten, mehr zu fürchten als das, was sie sehen und begreifen konnten.
Jim setzte den Becher ab und bereitete sich innerlich darauf vor, einen weiteren Tag so zu tun, als trinke er, während er sich in Wirklichkeit nur für den englischen Spion verfügbar hielt.
Er hatte sich angewöhnt, sich die lange Zeit des Wartens mit magischen Übungen zu vertreiben. Dabei beschränkte er sich auf kleine Zauberkunststücke: beispielsweise bewegte er eine unverdächtige Bank ein Stück weit durch den Raum oder veränderte die Farbe eines Möbelstücks.
Außerdem gelang es ihm mittlerweile recht gut, den Wein in seinem Becher nach und nach verschwinden zu lassen. Da er nicht den ganzen Tag lang trinken konnte, ohne unweigerlich betrunken zu werden, hatte er zu einer solchen List Zuflucht genommen.
Dabei stellte er fest, daß es nicht nur darum ging, den Wein verschwinden zu lassen. Er mußte ihn auch irgendwohin befördern. Daher verfrachtete er einen Becher Wein nach dem anderen ins etwa dreihundert Meter entfernte Hafenwasser. Damit war er den Wein los und hatte wiederum Anlaß, sich von Zeit zu Zeit nachzuschenken, damit den Dienstboten und dem Wirt nicht auffiel, daß er lediglich die Zeit totschlug – und wartete.
Seine moderne akademische Ausbildung bewirkte, daß er instinktiv nach Prinzipien suchte in dem, was er lernte, das heißt, nach den Prinzipien, auf denen die Magie basierte. Als Carolinus ihn gelehrt hatte, sich erst in einen Drachen und dann wieder in einen Menschen zu verwandeln, hatte er ihm im Grunde nur sehr wenig Hinweise gegeben, wie er sich die Kräfte der gewaltigen Enzyklopädie der Nekromantie, die er verschluckt hatte, zunutze machen konnte.
Mittlerweile argwöhnte er, daß dieser Mangel an Informationen beabsichtigt gewesen sein könnte. Aus irgendeinem Grund hatte Carolinus gewollt, daß er selbst einen Weg fand, sich der Enzyklopädie zu bedienen. Carolinus hatte Jim das Resultat eines magischen Vorgangs präsentiert, nicht den Vorgang selber.
Somit oblag es Jim, Mittel und Wege zu finden, sein Ziel zu erreichen. Zudem war er noch auf weitere Anzeichen gestoßen, die darauf hindeuteten, daß dies Carolinus Absicht gewesen war. Zum Beispiel funktionierte das bloße ›Schreiben‹ des entsprechenden Befehls, wie Carolinus es ihm beigebracht hatte, bei einigen Zaubersprüchen tadellos, während es bei anderen versagte.
Seine Versuche, sich des Weins im Becher zu entledigen, hatten erst dann Erfolg gehabt, als er über den Rand des Bechers zum Hafen hinüberblickte, wo gerade ein
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