Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
noch tödliches Schweigen. Ihre Augen glitzerten, und sofern ihre wilden Gesichter überhaupt eines Ausdrucks fähig waren, blickten sie verwundert, aber in keiner Weise eingeschüchtert drein.
»Du da«, sagte Jim und zeigte auf den größten Troll in der vorderen Reihe der Meute, die sie umstellte. »Weshalb seid ihr hergekommen? Antworte mir!«
Der Troll blickte nach links und rechts, dann auf den Boden und schließlich wieder zu Jim hinüber - und sagte nichts.
»Ich werde sprechen!« riefen Stimmen aus dem Hintergrund. Dann ging eine heftige Bewegung durch die Menge, und plötzlich brachen zwei völlig gleich aussehende Trolle bis in die vorderste Reihe durch, wobei sie die, die vorher dort gestanden hatten, rücksichtslos beiseite stießen. Dann bauten sie sich unmittelbar vor Jims Aura auf. Sie sahen nicht nur aufs Haar gleich aus, sondern standen auch auf dieselbe Weise da, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
»Was tut Ihr hier, Magier? Das ist mein Territorium!«
Jim blinzelte. Nicht was sie gesagt hatten, verwirrte ihn, sondern die Tatsache, daß sie es beide mit genau denselben Worten und genau zur selben Zeit gesagt hatten. Und beide hatten sie das Wort >mein< benutzt.
»Dann vertreibt mich doch«, antwortete Jim.
Die beiden starrten ihn wild an. Jim starrte zurück, genauso wild, aber gleichzeitig hin- und hergerissen zwischen zwei verlockenden Möglichkeiten. Die eine bestand darin, daß er sich genauso groß und hünenhaft machen konnte wie Rrrnlf der Seeteufel, die andere Möglichkeit bestand darin, sie alle einzufrieren und als Statuen zurückzulassen.
Nein, diese zweite Alternative war vielleicht ein wenig zu brutal. Aber wie dem auch sei, er war nicht in der Stimmung, sich irgend etwas gefallen zu lassen. Er wartete darauf, daß die Trolle abermals zu sprechen begannen.
Die beiden Trolle setzten sich auf unheimliche Weise im selben Augenblick in Bewegung und streckten, ohne ein Wort zu sagen, vorsichtig die Hände nach der Aura aus. Sie spürten die Hitze, bevor sie diese berührten, und zogen die Hände zurück. Dann starrten sie Jim einfach nur weiter an.
»Na schön«, sagte Jim. »Erzählt es mir, ihr beiden. Was wollt ihr hier?«
»Ich warte auf Mnrogar«, sagten sie.
»So, ihr wartet also auf Mnrogar«, sagte Jim. »Und was wollen dann all die anderen Trolle hier? Warten die auch auf Mnrogar? Ich möchte, daß nur einer von euch antwortet. Es ist nicht nötig, daß Ihr beide gleichzeitig redet. Mir ist es egal, wer von euch spricht.«
»Ich muß mit beiden Mündern sprechen!« sagten die beiden Trolle in perfektem Einklang. »Ich bin eine Person. Das ist der Grund, warum ich mit Mnrogar kämpfen und ihn fressen werde. Sein Territorium ist mein!«
Jim konnte nicht umhin, die beiden anzustarren.
»Was soll das heißen, ihr seid eine Person?« fuhr er auf. »Ich sehe doch, daß ihr zwei seid.«
»Nein, ich bin einer. Meine Mutter hat mich in zwei Hälften gerissen, als ich geboren wurde; aber ich bin immer nur einer gewesen. Ich lebe als einer. Ich esse als einer - und ich kämpfe als einer. Mnrogar wird sterben. Kein Troll kann mich besiegen. Ich kann mir jederzeit jedes Territorium nehmen, das ich haben will; und jetzt ist die Zeit gekommen, ihm, der sich König der Trolle nennt, das seine zu nehmen.«
»Und was soll das nutzen?« fragte Jim.
»Dann wird es keine Zweifel mehr daran geben, wer der König der Trolle ist. Denn wenn ich mir sein Territorium nehmen kann, werden alle Territorien mir gehören. Es ist eine neue Zeit für die Trolle angebrochen; vereint unter einem neuen König. Wir werden alles nehmen - alles; und wir werden nicht nur Mnrogar, sondern Euresgleichen und allen, die auf dieser Insel Stärke heucheln, jeden Knochen im Leibe zerbrechen. Alles wird mir gehören. Mir, auf ewig!«
Jim bemerkte, wie sein Zorn sich angesichts seiner Verblüffung verflüchtigte. So groß Mnrogar auch war, die beiden Trolle vor ihm - von denen jeder größer war als alle anderen hier - hatten gute Chancen, den Burgtroll mit vereinten Kräften zu bezwingen. Vor allem, da er nach annähernd zweitausend Jahren müde zu sein schien - des Lebens und, wenn Aragh recht hatte, des Alleinseins.
Plötzlich ging ihm unerwartet ein Licht auf. Dies hier konnte sehr wohl der Grund sein, warum die Dunklen Mächte glaubten, sie könnten die Festlichkeiten des Grafen stören und gegen das Prinzip der Geschichte verstoßen, und zwar während eines christlichen Festes, von dem sie selbst
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