Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
plötzlich aus wie ein zerbrechlicher, alter Mann, ein Mann, der möglicherweise bis an die Grenzen seiner Kraft gedrängt wurde.
»Ich fürchte, ich habe die Dinge nur noch verschlimmert, indem ich Euch half«, sagte Carolinus. »Ich habe es nur gut gemeint, und gewiß habt Ihr meine Hilfe verdient und benötigt. Aber vom Standpunkt der Argumente, die Son Won Phon nun zusammenträgt, war mein Verhalten unklug. Ihr erinnert Euch sicher daran, was ich für Euch tat, nachdem Ihr die Angelegenheit mit den Hohlmenschen geregelt hattet - ich habe Euch einen höheren Rang verschafft und eine ungewöhnliche Zubilligung an Magie. Euer Konto ist sogar höher als das, auf das ein Magier der dritten Kategorie für gewöhnlich Anspruch hat. Das ist den anderen Lehrlingen gegen den Strich gegangen; und unausweichlich ist es auch ihren Meistern der Magie - zumindest einigen ihrer Meister - gegen den Strich gegangen.«
»Und ich kann nichts an dem Gefühl ändern, das bei den älteren Magiern vorherrscht?« fragte Jim. »Das fällt mir schwer zu glauben. Da müßte es doch irgend etwas geben!«
»Ja«, knurrte Aragh.
»Genau betrachtet«, sagte Carolinus, »gibt es drei Möglichkeiten. Obwohl mir nicht klar ist, wie Ihr Euch eine dieser drei Möglichkeiten zunutze machen könnt. Erstens könntet Ihr sein Argument widerlegen, daß Ihr möglicherweise die zukünftige Geschichte beeinflussen könntet - aber da niemand etwas von der zukünftigen Geschichte weiß, weil diese von den gegenwärtigen Ereignissen abhängt, wüßte ich nicht, wie Ihr das bewerkstelligen solltet.«
»Nein«, meinte Jim nachdenklich.
»Oder Ihr könntet Son Won Phon selbst angreifen, obwohl das ziemlich anmaßend wäre. Immerhin seid Ihr ein Student der Magie der dritten Klasse und damit immer noch ein Lehrling. Es ginge nicht an, einen Magier der zweiten Kategorie, also einen anerkannten Magier, anzuklagen. Ihr würdet überall mißbilligende Blicke ernten und wahrscheinlich die meisten Meistermagier dieser Welt gegen Euch einnehmen. Daher wäre ein solcher Versuch nutzlos.
Die dritte Möglichkeit wäre folgende: Ihr müßtet eine vollkommen neue Magie erschaffen und sie dem Vorrat von Magie in unserer Welt und Zeit hinzufügen. Die Magie bewegt sich, wie ich Euch erklärt habe, allmählich aus unserem Bereich in das gewöhnliche Leben hinein; daher geht uns ständig ein wenig davon verloren. Nur gelegentlich wird sie von jemandem, der neue Magie erschafft, wieder ergänzt. Daher muß die Magie zu guter Letzt völlig aus unserer Welt verschwinden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr neue Magie erschafft.« Lange herrschte Schweigen. Jims Gedanken überschlugen sich wie verrückt. Bei seinem Aufbruch aus der Burg war er von dem Gedanken erfüllt gewesen, daß er mal wieder ein abscheuliches Problem am Hals hatte, das ihn im Grunde gar nichts anging, das man ihm aber irgendwie in die Schuhe geschoben hatte. Eine unangenehme Situation, aber nicht weiter erschreckend.
Jetzt sah er sich einem Problem gegenüber, das überaus erschreckend war und das nur ihn und Angie anging und sonst niemanden. Es war ein Problem, das er lösen mußte, um sich und Angie vor dem Tod zu bewahren - oder vor etwas vielleicht noch Schlimmerem, auch wenn es ihm im Augenblick unvorstellbar war. Plötzlich hatte er das Gefühl, als stünde er im Zentrum eines Rings von Speerspitzen, ohne daß es einen erkennbaren Ausweg gegeben hätte.
»Es tut mir leid, Jim«, sagte Carolinus mit sanfter Stimme. »Alle Verantwortung liegt bei mir. Ich hätte Euch niemals in diese Lage gebracht, wenn ich sie irgendwie hätte vorhersehen können. Ich kann natürlich zu Son Won Phon gehen und feststellen, ob er nicht einfach Eurer augenblicklichen Rückführung zustimmen würde, was Euch vermutlich lieber wäre als alles, was Euch und Angie hier in unserer Welt zustoßen könnte, wenn man Euch Eurer Magie entkleidete. Im Falle einer Rückführung wäret Ihr beide zumindest wieder in einer Welt, an die Ihr gewöhnt seid, ganz gleich, wie schrecklich sie vielleicht ist; aber es wäre eine Welt, in der Ihr die Regeln kennt und wißt, wie Ihr Euch zu benehmen habt. Ansonsten sehe ich absolut keine Hoffnung, wie Ihr mit der gegenwärtigen Situation fertig werden könntet.«
»Laßt ihm doch etwas Zeit«, brummte die rauhe Stimme Araghs.
Jim und Carolinus sahen den Wolf an. Er hatte sich auf die Seite gelegt, als wäre ihm ihr Gespräch zu langweilig, um stehen zu bleiben und zuzuhören. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher