Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
verboten es ihm, einen unfairen Vorteil wahrzunehmen; selbst dann, wenn es darum ging, jemandem einen Gewinn abzunehmen, den dieser mit betrügerischen Mitteln erworben hatte. Brian würde darauf bestehen, Sir Mortimor das ganze Geld, das Jim ihn mit magischen Mitteln hatte gewinnen lassen, zurückzugeben. Dann, und erst dann, würde er, falls er denn fest davon überzeugt war, daß Sir Mortimor beim Spiel betrogen hatte, den Ritter mit offenen Worten beschuldigen und ihn zu einem Kampf auf Leben und Tod herausfordern.
Sollte Sir Mortimor dabei umkommen, befände sich das Geld immer noch in seinem Besitz. Brian würde es nicht einmal einem Toten abnehmen. Dafür wäre seine Freundschaft mit Jim zerstört - wahrscheinlich auf Dauer.
Vor der Antwort auf diese Zwickmühle - der einzig möglichen Antwort - hätte Jim am liebsten die Augen verschlossen. Offenbar bestand der einzige Ausweg darin, nicht nur Sir Mortimor, sondern auch Brian im Ungewissen darüber zu lassen, wie das Geld zu Brian zurückgefunden hatte. Es sei denn, er erklärte Brian die Angelegenheit erst dann, wenn es zu spät war, Sir Mortimor noch zur Rechenschaft zu ziehen. Vielleicht würde ihm dann eine passende Entschuldigung einfallen.
Verdammt noch mal, Carolinus! sagte Jim. Das ist eine Grauzone! Eine Situation, in der die beiden von Euch erwähnten Direktiven in genau entgegengesetzte Richtungen weisen. Wenn ich Brian helfen will, muß ich ihm weh tun.
Ja, erwiderte Carolinus, mit derlei Gewissensnöten bekommt Ihr es bedauerlicherweise zu tun, wenn Ihr Euch mit der Fortgeschrittenen Magie befaßt. In diesem Fall kann ich Euch natürlich nicht helfen. Dies ist ein bittersüßer Moment für mich, Jim. Ich komme mir ein wenig vor wie ein Vater, der beobachtet, wie sein Kind heranwächst, bis es irgendwann selbst entscheiden muß; dann bleibt dem Vater nichts anderes übrig, als in den Hintergrund zu treten. Dieses Stadium der Loslösung habt Ihr jetzt erreicht, Jim. Es steuert schon eine ganze Weile auf Euch zu, auch wenn Ihr den Schatten, den es vorauswirft, vielleicht übersehen habt.
Ich verstehe nicht, was Ihr mit dem Schatten meint, erwiderte Jim.
Ach was, entgegnete Carolinus, natürlich wißt Ihr das. Ihr meint schon eine ganze Weile, ich vernachlässigte Euch über Gebühr und gäbe Euch nur unvollständige Erklärungen - vielleicht meint Ihr gar, ich schwindelte Euch bisweilen an. Es stimmt, daß ich Euch in einigen Fällen nur einen Teil der Wahrheit sagen durfte. Wenn Ihr erst einmal ein Meistermagier geworden seid -falls dieser Tag jemals kommen sollte -, werdet Ihr das verstehen. Dies ändert jedoch nichts daran, daß Ihr bei Eurer Entscheidung auf Euch allein gestellt seid. Ich kann zuschauen; helfen aber darf ich Euch nicht.
Carolinus verschwand, und im nächsten Moment befand Jim sich wieder in seinem Körper, saß am Tisch und beobachtete, wie Sir Mortimor Brian Wurf für Wurf ärmer machte.
Jim schwankte hierhin und dorthin, dann auf einmal teilte sich alles in zwei klar voneinander geschiedene Wege. Der eine bestand darin, seine Freundschaft zu Brian zu schützen, die Freundschaft, die ihm am meisten bedeutete und die ihm das Leben in dieser Welt des vierzehnten Jahrhunderts nicht nur erträglich, sondern überhaupt erst möglich gemacht hatte. Der andere bestand darin, diese Freundschaft aufs Spiel zu setzen und es Brian zu ermöglichen, eine Gelegenheit wahrzunehmen, die vielleicht nie wiederkehren würde - nämlich endlich Gerondes Vater zu finden und seine Verlobte zu heiraten, was für beide die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches bedeutet hätte.
Zum Teufel damit! dachte Jim. Dos Geld gehört Brian; und Brian soll es auch bekommen.
Er hatte eigentlich erwartet, er müsse sich erst einmal den Kopf nach einer passenden magischen Lösung zerbrechen, doch nun fiel sie ihm sogleich ein, beinahe so, als hätte sie in einem Winkel seines Bewußtseins bereits gewartet. Er schloß halb die Augen und stellte sich Sir Mortimors zwei Würfelpaare vor. Auf magische Weise würde er sie unter bestimmten Voraussetzungen veranlassen, die Plätze zu tauschen. Jedesmal, wenn Sir Mortimor die Würfel an Brian weiterreichte, würde Brian die Siegerwürfel in Empfang nehmen, und wenn Brian die Würfel an Sir Mortimor zurückgab, würden sie sich wieder in die Verliererwürfel verwandeln.
Anschließend beobachtete Jim, wie sich das Spielerglück am Tisch wendete. Brian gewann, gewann und gewann - bis Jim auf einmal bewußt wurde,
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