Drachenritter 07 - Der Drache und der Wuzelkönig
Ziehharmonika gefaltet worden war.
In der Mitte stand ein einziger Absatz. Er war verhältnismäßig klein und mit unsicherer Hand geschrieben. Am unteren Ende prangte ein Siegel in rotem Wachs.
Jim starrte es an. Er erkannte die meisten Wappen nicht, aber dies war das Wappen eines Mitglieds der königlichen Familie – steigende gekrönte Löwen sowie die Lilie, die Edward III. seinem Wappen zugefügt hatte, als er den Thron Frankreichs für sich beanspruchte – beides war auf den ersten Blick erkennbar.
Es war jedoch mit Sicherheit nicht das Große Siegel, das nur bei wichtigen Angelegenheiten von historischer Tragweite zum Einsatz kam, nicht einmal das Amtssiegel, das für gewöhnlich verwendet wurde.
Jim wandte sich dem Schreiben zu und versuchte es zu entziffern. Wie zu dieser Zeit üblich, war die Schrift reich an Schnörkeln, was Jim zusätzlich Schwierigkeiten bereitete. Der Text stammte von jemandem, der zwar die Schreibkunst irgendwann erlernt hatte, sie aber nicht sehr gut beherrschte, und war in englischer Sprache abgefaßt. Trotzdem war die Handschrift – für die Zeit zumindest – recht gut lesbar. Als Jim jedoch versuchte den Text zu entziffern, verwandelte er sich in eine unverständliche Kette ominöser Zeichen.
»Angie?« Er reichte ihr das Pergament wieder rüber. »Kannst du es bitte lesen?«
»Das habe ich bereits getan«, sagte Angie, nahm das Pergament und las laut vor.
»An Unseren loyalen und guten Freund, Sir James le Dragon de Malencontri, meine herzliche und andauernde Liebe für Euch, Sir James, und mein Wunsch, daß sich Euch im Namen Gottes alles fügt. Bei mir verhält es sich anders. Für die Liebe, die Ihr mir entgegenbringt, kommt unverzüglich zu mir nach Windsor, so daß wir zusammen der boshaften Agatha Talon das Handwerk legen können, durch die ich in eine ernste Notlage geraten bin, aus der niemand außer Euch mich retten kann. Da Ihr mich liebt, bringt Eure engsten Freunde mit und kommt sofort.«
Angie hörte auf zu lesen. Jim starrte sie an.
»Ist das alles? Es sah so aus, als ob da eine Menge mehr stünde.«
»Das ist der Fall, aber es ist im wesentlichen die gleiche Nachricht, die ein paarmal wiederholt wird.«
Sie legte das Pergament in die Mitte zwischen sich und Jim
und blickte ihn an.
»Hat der Bote dir noch etwas mitgeteilt?«
»Nein«, sagte Angie. »Ich habe ihm gesagt, daß du bereits vor Sonnenaufgang mit einem Packpferd aufgebrochen seist. Ich sagte, ich würde dein Ziel nicht kennen. Ich habe ihm nichts von Robert oder sonst etwas erzählt.«
»Du hast also auch keine Antwort geschrieben?«
»Der Prinz hätte eine Antwort von mir als anmaßend empfunden – als ein unerlaubtes Eindringen in seine Privatangelegenheiten –, das weißt du doch. Außerdem kann es ja sein, daß du dem Boten nachreiten willst – du könntest ihm sagen, daß du unerwartet deine Reise abgebrochen hast.«
»Das habe ich nicht vor«, sagte Jim. »Und du hast alles richtig gemacht. Ich kann ihm jetzt nicht helfen. Wir müssen
erst Robert finden.«
Angie atmete langsam aus.
»Ich wußte, du würdest das sagen! Aber ich wollte es von dir persönlich hören. Glaubst du, daß diese Angelegenheit des Prinzen uns noch Ärger machen wird?«
»Das kann ich nicht sagen«, sagte Jim finster. »Ich weiß nicht mal, worüber er sich so aufregt. Aber denkst du, daß der Bote dir geglaubt hat?«
»Warum sollte er nicht? Vermutlich wußte er gar nicht, was in dem Brief steht. Er war ein gewöhnlicher Bote des Prinzen und kein offizieller Königlicher Herold, das hat er mir selbst gesagt. Er sagte, er erwarte, daß du mit ihm nach Windsor zurückkehrst – der Prinz bleibt offensichtlich dem Hof fern. Aber es ist für Leute, die wie wir abgeschieden auf dem Land leben, nicht ungewöhnlich, nicht zu Hause zu sein, wenn ein Bote kommt. Wie dem auch sei, Geronde und Danille waren mit mir in der Großen Halle, als ich den Brief öffnete und las.«
Sie kicherte, ein ungewöhnlicher Laut von Angie.
»Die waren wirklich beeindruckt«, sagte sie.
»Warum?«
»Erstens, weil ich die Nerven hatte, einen königlichen Brief
zu öffnen, der an dich adressiert war, und zweitens –, ganz besonders – weil ich ihn ohne Schwierigkeiten lesen konnte.«
»Du hast ihnen nicht gesagt, was drinsteht?«
»Natürlich nicht, aber sie haben mich gedeckt, als ich dem Boten sagte, daß du weg seist.«
»Das war nett von ihnen.«
»Du weißt doch, daß sie gar nicht anders konnten.«
Das stimmt,
Weitere Kostenlose Bücher