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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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sie.
    Sie legte eine Hand auf den Türknauf, der sich kalt anfühlte, und drehte ihn. Wie am Abend zuvor überwältigte sie wieder dieses Übermaß an Mahagonirot, doch diesmal war der ganze Raum in helles Licht getaucht.
    Mit zögerlichen Schritten trat sie ein. Im Schein der Herbstsonne standen dort zwei Personen, eine kerzengerade und groß, die andere klein und dicklich. Sofia war sofort klar, um wen es sich handelte, und ihr Herz schlug noch schneller.
    » Das ist Professor Georg Schlafen, Sofia.«
    Sie war so befangen, dass sie den Kopf gesenkt hielt. Ihre Knie zitterten.
    » Hallo, Sofia.«
    Er hatte eine schöne Stimme, nur ein wenig laut kam sie ihr vor. Sie blickte ihn verstohlen an. Sein Gesicht war länglich, mit einem ausgeprägten Kinn, das ein kurzer, sehr gepflegter Bart zierte. Die kleinen, lebhaften Augen waren hinter runden, schwarz eingefassten Brillengläsern verborgen. Der Mann lächelte freundlich und streckte ihr die Hand entgegen. Irgendwie kam er Sofia wie eine Mischung aus einem der Ordensbrüder, die gelegentlich das Waisenhaus besuchten, und einem zerstreuten Professor vor.
    Mit ebenfalls ausgestreckter Hand, einem starren Lächeln im Gesicht stand sie reglos da und bewegte sich keinen Millimeter.
    » So-fi-a!«, raunte Schwester Prudenzia mit unterdrücktem Unmut, und erst da schrak Sofia auf und gab dem Professor die Hand. Warm und beruhigend fühlte sie sich an.
    » Schön, dich kennenzulernen.«
    Er sprach mit einem nur leicht angedeuteten ausländischen Akzent. Und während Schwester Prudenzia mit ihren Erläuterungen fortfuhr, betrachtete Sofia in aller Ruhe seine wunderliche Aufmachung. Er war gekleidet, wie es im 19. Jahrhundert Mode war, mit einer Weste, auf der das Kettchen seiner Taschenuhr hing, einer schwarzen Hose, einem langen dunklen Jackett und einer farbenfrohen Krawatte über dem weißen Hemd. Sofia war dieser Fremde sofort sympathisch, der sie an Körpergröße noch nicht einmal um eine Handbreit übertraf.
    » Der Professor ist väterlicherseits deutscher Abstammung«, erklärte Schwester Prudenzia nun, » während seine Mutter Italienerin war. Lange Jahre hat er in München gelebt und sich dort seinen anthropologischen Forschungen gewidmet. Unter Fachkollegen ist er eine Berühmtheit und hoch angesehen in den gebildeten Kreisen.«
    » Zu viel des Lobes«, wehrte der Professor mit aufrichtiger Bescheidenheit ab.
    » Er kannte deinen Vater und war ihm freundschaftlich verbunden. Eine Freundesschuld war es auch, die ihn zu uns geführt hat. Um ein altes Versprechen einzulösen, ließ er nach dir suchen, und als er dann endlich erfuhr, wo du lebst, hat er sich gleich auf den Weg gemacht. Er trägt sich nämlich mit dem Gedanken, dich bei sich aufzunehmen.«
    Sofia ließ den Blick zwischen Schwester Prudenzia und dem Professor hin und her schweifen. Die Züge der Heimleiterin wirkten wie immer streng und undurchschaubar, während er weiter lächelte und leicht vor und zurück schaukelte in seinen Schuhen, die leise knirschten, wenn er das Gewicht auf die Zehenspitzen verlagerte.
    » Er hat mich ausdrücklich gebeten, sich unter vier Augen mit dir unterhalten zu dürfen, und ich will seinem Wunsch entsprechen. Ich kann mir vorstellen, dass du ihn auch vieles fragen möchtest. Deswegen lasse ich euch nun allein«, erklärte Schwester Prudenzia weiter.
    Bevor sie das Zimmer verließ, bedachte sie Sofia noch mit einem strengen Blick. Als Antwort zog diese sofort die Schultern hoch und blickte zu Boden. Es war ihre Pflicht, dem Heim Ehre zu machen, doch sie spürte sogar selbst, dass sie wohl eher wie ein begossener Pudel dastand. Mit einem dumpfen Geräusch schloss sich die Tür und im Raum machte sich betretenes Schweigen breit. Das Knirschen der wippenden Schuhsohlen war der einzige Laut, der zu hören war.
    » Nun denn …«, sagte der Professor nach einer ganzen Weile.
    Sofia stand nur da und rang die Hände. Sie wusste, dass sie irgendetwas sagen, sich geistreich geben oder zumindest aufhören musste, so stocksteif dazustehen.
    » Ein wenig streng, die ehrwürdige Schwester Oberin, nicht wahr?«
    Der Professor zwinkerte ihr zu und Sofia lächelte verlegen. Wie recht er hatte, aber noch nie hatte sie es jemanden so klar und selbstverständlich aussprechen hören.
    » Setzen wir uns doch«, schlug er vor, während er sich einen Stuhl heranzog, Platz nahm und die Beine elegant übereinander schlug. Für Sofia blieb wieder derselbe mächtige Stuhl wie am Tag zuvor.
    » Nun,

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