Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
» So eine Vaterrolle lässt sich nicht von heute auf morgen erlernen, und ich hätte mich darauf beschränken sollen, meinen Pflichten als Hüter nachzukommen, ohne mich auf Gebieten zu versuchen, für die ich nicht geeignet bin.« Er setzte die Brille wieder auf und rückte sie eine Zeitlang nervös auf der Nase zurecht. » Ich werde dich also so bald wie möglich ins Waisenhaus zurückbringen. Einen glaubhaften Grund, der dich nicht in schlechtes Licht rückt, lasse ich mir noch einfallen. Oder besser noch, ich werde versuchen, dass du bald von anderen Eltern adoptiert wirst, denn du brauchst eine Familie und hättest sie auch wirklich verdient …«
» Ich bleibe.«
Knapper hätte sie es nicht sagen können, aber als sie es ausgesprochen hatte, war ihr, als falle eine Zentnerlast von ihr ab. Der Professor starrte sie entgeistert an.
» Und ich werde tun, was man von mir erwartet«, fügte sie hinzu. » Ich habe lange darüber nachgedacht, und dabei ist mir klar geworden, dass ich nicht davonlaufen will. Eine Aufgabe muss erfüllt werden, und wenn ausgerechnet ich dafür auserwählt wurde, wird das schon seinen Grund haben, denke ich.«
Eine Weile schaute Professor Schlafen sie nur aus seinen hellen Augen an. » Ich will dich aber zu nichts zwingen«, sagte er dann. » Bislang schien mir das alles für dich nur eine Last zu sein, und ich habe nicht vor …«
» Ich weiß schon, was ich tue«, unterbrach ihn Sofia. » Vielleicht « , schränkte sofort eine Stimme in ihrem Innern ein.
» Gut genug jedenfalls, dass ich mich frei entscheiden kann « , setzte eine andere hinzu.
» Es ist mein freier Wunsch.«
Da nahm der Professor sie in den Arm und drückte sie fest an sich. » Ich werde immer an deiner Seite sein, Sofia. Du bist nicht allein, und ich werde niemals zulassen, dass dir etwas geschieht.«
Dieses Mal wehrte sich Sofia nicht gegen die Berührung, denn mehr als sonst wünschte sie sich, ihm nahe zu sein. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und gab sich der Umarmung hin. Zusammen konnten sie es schaffen.
Gleich vom nächsten Tag an überrollte der Professor sie mit allem, was jetzt seiner Meinung nach anstand. Sie müssten die verlorene Zeit aufholen, erklärte er, und so entwarf er einen dicht gedrängten Zeitplan. Und so hockte Sofia Stunde um Stunde über den Büchern, las Geschichten und Sagen von Nidhoggr und den Lindwürmern, über Thuban und die Welt der Drachen. Bis sie irgendwann den Faden verlor. Zu viel Neues auf einmal drang auf sie ein, und je mehr sie aufnahm, desto verwirrter fühlte sie sich.
Wenn der Professor sie abfragte, kam sie sich noch hilfloser als in der Schule im Waisenhaus vor. Dort hatte sie schlimmstenfalls eine schlechte Note kassiert, wenn sie etwas nicht wusste, hier aber stand ihr Leben auf dem Spiel. Und wenn sie Wichtiges vergaß, war dadurch die gesamte Mission gefährdet. Mit anderen Worten: Ihre Verantwortung war ungleich größer.
» Mach dir keine Gedanken«, versuchte der Professor, sie immer wieder zu beruhigen. » Das ging jetzt alles sehr schnell, und deshalb sind wir gezwungen, durch den Stoff zu hetzen. Aber du wirst sehen, wenn das Fundament erst gelegt ist, wird es ganz einfach.«
Sofia nickte, wenn er ihr auf diese Weise Mut machte. Dabei wusste sie, dass sie noch gar nicht richtig angefangen hatten: Bald würde das körperliche Training beginnen und in dieser Hinsicht war ihre Skepsis noch um einiges größer. Ganz sicher würde sie sich total tollpatschig anstellen: Im Sport war sie schon immer eine Flasche gewesen.
Als der Professor sie eines Abends an der Hand in die Bibliothek führte, wusste sie, dass nun der Moment gekommen war. Ihr Vormund gab sich geheimnisvoll und deutete auf eine bestimmte Stelle am Bein des Holztisches, der neben dem Baum stand.
» Dieses Haus ist sehr viel größer, als es den Anschein hat«, erklärte er, und kaum hatte er mit dem Finger auf diesen verborgenen Vorsprung gedrückt, öffnete sich mit einem gedämpften Surren der Fußboden um den Stamm herum, und ein düsterer Hohlraum kam zum Vorschein, in dem man seitlich einige Stufen erkennen konnte.
Schlafen betrachtete Sofias erstauntes Gesicht und lächelte aufmunternd. » Komm.«
Er nahm sie bei der Hand und schickte sich an, sie die feucht-glitschigen Treppenstufen hinunterzuführen. Sofia erschauderte.
» Du musst keine Angst haben. Das ist unsere Welt, Sofia. Unterirdisch öffnet sie sich, unter der der normalen Menschen.«
Damit nahm er eine Fackel
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