Drachenseele (German Edition)
sollte er lieber verschwinden. Jetzt, solange er dazu noch in der Lage war. Hier gab es für ihn keine Hilfe, hier gab es nur experime n tierfreudige Ärzte. Sein angeblicher Tumor erregte ihre Au f merksamkeit nur, weil dieser in seinem Ausmaß und seiner Form nicht im Lehrbuch stand. Es wäre doch den k bar, dass er ein besonderes Organ mit einer bisher unbekannten Funktion besaß. Allerdings erschien Marcus das Wachstum dieses, was es auch immer war, selbst suspekt. Wenn es innerhalb von ein paar Tagen auf die do p pelte Größe wuchs, was würde am Ende aus ihm werden? Ein Kribbeln durchzog seinen Kopf und strömte die Wirbelsäule hinu n ter. Gut fühlte sich das an, sehr gut sogar.
„Marcus!“, rief ihm jemand nach. Mit einem tiefen Atemzug drehte er sich um. Dr. Stelzer eilte ihm den Flur nach. „Was ist passiert?“
„Was passiert ist?“ Er hörte seinen barschen Ton und versuchte etwas ruhiger zu sprechen. „Ich stehe als Versuchskani n chen nicht zur Verfügung.“
„Schon gut. Aber das meine ich nicht.“ Demonstrativ schaute sie auf den Boden, den Flur zurück. Eine rote lange Blutspur leuchtete auf dem Krankenhausfußboden. Durch die blutende Wunde der herausgerissenen Kanüle lief Marcus das Blut den Arm entlang und tropfte an den Fingern herunter.
„Ich verbinde das“, sie sah kurz auf die Uhr, „dann fahre ich dich nach Hause, in Ordnung?“ Marcus erklärte sich einverstanden. In einem Behandlungsraum drückte Dr. Stelzer ein Mulltuch auf die Verletzung. „Willst du reden?“ Für einen A u genblick hielt sie inne, schaute ihm ins Gesicht.
„Dieser Dr. Schneider hat keinen Plan, was er mit mir anfangen soll. Ich fühle mich wie ein Außerirdischer, an dem es jede Menge zu erforschen gibt.“ Er nahm einen tiefen Atemzug. „Ich glaube nicht, dass ich einen Tumor habe.“
„Ist es nicht viel mehr so, dass du dir wünschst, es wäre keiner?“
„Und warum treffen dann all diese Prognosen der Ärzte nicht zu? Wissen Sie, was ich denke, Dr. Stelzer?“ Sie klebte einen Klebestreifen auf den Verband. In diesem Moment durchfuhr Marcus die Erkenntnis, dass auch sie nur das medizinische Lehrbuch kannte. Sie würde ihre Psychologie solange anwenden bis er als Versuchsperson zustimmte. Zahlreiche Untersuchungen würden folgen, ja vielleicht sogar Operat i onen. Man würde an ihm herumschnippeln. Nein, er sollte ihr nicht vertrauen. Ma r cus stand auf. „Vergessen Sie es.“
„Nein, sag schon.“ Sie hielt ihn am Arm fest. Das gehörte zu ihrer Taktik, darauf durfte er sich nicht einlassen.
„Dass ich ein Alien bin!“ Er konnte sich das Lachen nur schwer verkneifen. Sie schüttelte mit ernstem Gesicht den Kopf.
Unterwegs im Auto redete Dr. Stelzer weiter auf Marcus ein. Sie fuhr ihn angeblich nach Hause, weil es auf ihrem Weg lag und sie so sicher sein konnte, dass Marcus ohne Zwische n fälle in seiner Wohnung ankam. Marcus spielte den Einsicht i gen, er wollte eine Nacht drüber schlafen, sich alles in Ruhe überlegen. Dr. Stelzer schien jedenfalls beruhigt, bis der Wagen vor dem Haus hielt. „Ich habe kein gutes Gefühl, dich allein zu lassen. Soll ich mit kommen?“
„Nicht notwendig. Mir geht es gut.“ Für Marcus gab es in diesem Moment nur die Sehnsucht nach seinen eigenen vier Wä n den. Die Psychologin ging ihm langsam auf die Nerven.
„Ja, Marcus, aber wie lange? Was ist, wenn du wieder bewusstlos wirst?“
„Das passiert nicht.“ Er lächelte sie an und hoffte, sie damit endlich loszuwerden.
„Ruf mich an!“ Sie reichte ihm eine Visitenkarte. „Das Handy ist vierundzwanzig Stunden am Tag erreichbar.“
„Danke!“ Er schnappte sich die Karte, um eiligst auszusteigen. Er hatte genug von Ärzten, von medizinischen Unters u chungen und zweifelhaften Diagnosen.
Endlich
M arcus drehte den Schlüssel herum, bis das Schloss aufsprang. Er drückte die Tür nach innen und zog dabei den Schlüssel heraus.
Ups!
Er hatte sich offensichtlich im Stockwerk geirrt. Er schaute zuerst auf den Schlüssel, der ja gepasst hatte, dann wandte er sich um, erkannte auf dem Hausflur zwischen dem Treppengeländer unter sich die Eingangstür. Nein, er irrte sich nicht. Er befand sich in der ersten Etage.
Jemand musste während seines Krankenhausaufenthaltes sehr fleißig gewesen sein, hatte seine Wohnung renoviert. Doch wer würde das für ihn tun? Nachdenklich ging Marcus durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer. Es roch noch intensiv nach Farbe. In der Mitte des Raumes
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