Drachenseele (German Edition)
Schwester ihn von Gurten und Elektroden befreite, begann der Arzt se i nen Patienten aufzuklären.
„Also, wie ich vorhin bereits sagte, ist ihr Fall keiner aus dem Lehrbuch. Das bedeutet, wir bewegen uns in unbekanntem Terrain. Das EEG ist, eh’, wie soll ich sagen, überraschend.“ Marcus schluckte. Für seinen Fall existierte offensichtlich kein Therapieplan. Die Ärzte würden herumprobieren und Tests durchführen wie bei einem Versuchskaninchen in einem Labor. Der Arzt schüttelte leicht den Kopf. „Ich werde ein MRT veranlassen, dann können wir das Tumorgewebe besser bestimmen.“
Marcus griff sich an den Kopf. Immer mehr entwickelte sich dieser Krankenhausaufenthalt zum Albtraum. In seinem Hirn wuchs etwas Unerforschtes. Für die Medizin ein gefundenes Fressen, das man unter allen Umständen erforschen musste.
„Ist Ihnen schwindelig? Haben Sie Schmerzen?“, fragte die Schwester mit besorgter Stimme.
„Nein!“ Das konnte ja anstrengend werden. „Alles in Ordnung.“
Dr. Schneider schien es ziemlich eilig mit allem zu haben. Keine zwanzig Minuten später lag Marcus auf einem dieser schalenförmigen Menschentabletts. Die Röhre des MRT fuhr langsam auf seinen Kopf zu. Marcus fühlte einen enormen Kloß im Hals, der ihm das Atmen verwehrte. Vor seinen Augen verschmolzen die Konturen des Gerätes zu einer nebelhaften Umgebung. Wie im Zeitraffer sah er sich durch einen endlos langen Tunnel sausen, bis er sich in einer felsigen Höhle wiederfand. Feucht roch es hier. Erschrocken fuhr Marcus herum. Wo befand er sich? Wie kam er hier her? Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Gleich einem Hauch strömte warme Luft auf seinen Nacken. Er drehte sich um, konnte aber nichts e r kennen. „Dein Körper beginnt vollständig zu werden. Nehme es an und sträube dich nicht dagegen.“ Eine tiefe und doch sanfte Stimme durchdrang die Dunkelheit. Marcus wollte antworten, brachte jedoch keinen Laut über seine Lippen.
„Geh und suche Deinesgleichen. Ihre Neugier ist geweckt. Geh, doch sei nun gewarnt.“ Ein kraftvoller Sog riss Marcus mit sich. Auf die gleiche Weise, wie er in die Höhle gelangte, schoss er wieder zurück.
„Sehen Sie mich an, Herr Sonntag!“ Dr. Schneiders Gesicht tauchte vor ihm auf. Er hielt Marcus eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase. „So ist gut! Ganz ruhig atmen.“
Eine Schwester wischte Marcus über die Stirn. Feucht und kalt fühlte sich seine Haut an, auch sein Herz pochte heftig, was nach dem Erlebnis kein Wunder war. Marcus bemerkte eine zweite Schwester, die Dr. Schneider eine vorbereitete Spritze reichte, um danach einen Stauschlauch um Marcus Arm zu befestigen. Dieser Ort war nicht gut für ihn, diese Menschen schienen nicht das zu sein, was sie vorgaben. Der Arzt presste Marcus’ linken Arm auf die Unterlage. Mit der anderen Hand bohrte er die Kanüle der Spritze in Marcus’ Ader. Verdammt! Wofür sollte das Medikament sein? Wurde er denn nicht gefragt? Marcus schlug mit der Rechten die Spritze aus der Hand des Arztes, dabei spürte er einen stechenden Schmerz im Arm. Gleichzeitig schnellte er in die Höhe. Die Schwestern wichen erschrocken zurück.
Dr. Schneider hob seine Hände. „Nicht aufregen, Herr Sonntag. Ich wollte Ihnen nur was zur Beruhigung geben.“
„Schluss jetzt!“ Marcus rutschte von der Untersuchungsliege des MTR. „Eigentlich bin ich ein ruhiger Zeitgenosse, aber Ihr Krankenhaus versetzt mich irgendwie in Aufruhr.“
„Bitte! Wir müssen diese Untersuchung fortsetzten. Ich h a be ja eben nur einen kurzen Einblick erhalten, bevor wir wegen Ihrer Panikattacke unterbrechen mussten. Ihr Tumor ist größer geworden und ich fürchte…“
„Fürchten Sie allein! Ich halte Ihre Prognosen für Hirngespinste.“ Seine Abneigung gegen Dr. Schneider erreichte eine Intensität, die Marcus nicht weiter zu ergründen wünschte. Die kalten Augen des Arztes riefen ein schreckliches Erlebnis in ihm wach. Nur konnte er sich wirklich nicht daran erinnern, als läge es Jahrhunderte zurück. Vielleicht war es auch lediglich ein Instinkt, der Marcus in Alarmbereitschaft versetzte. Nur schnell raus hier, weg von diesem Arzt. Die verbalen Versuche ihn zum Bleiben zu überreden, interessierten Marcus nicht. Er eilte aus dem Unters u chungsraum, den Flur entlang.
„Mein Gott, Herr Sonntag! Sie können doch jetzt nicht abbrechen. Das ist Ihr Tod!“
Bevor er wirklich als Versuchsperson, vielleicht mit Medikamenten ruhig gestellt, den Medizinern ausgeliefert war,
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