Drachenseele (German Edition)
dann davon. Stones war so verdammt höflich. Narvalvar erschien das ziemlich suspekt. Wah r scheinlich entwickelte Stones doch so was wie ein Gewissen. Narvalvar nahm sich eine Tasse Tee, beobachtete den einen, schulte seinen Blick für seinesgleichen, um seine leere Tasse nach einer Weile am Buffet wieder abzustellen. An einer der Türen sah er William hereinkommen, der sich suchend u m schaute. Als er Narvalvar entdeckte, winkte er ihn zu sich.
„Oben an der Klippe, wo die Zeremonie stattfand, wartet jemand auf Euch.“
„Auf mich? Wer denn?“ Eigentlich konnte es nur Stones sein, der ihm den Termin des Anwalts mitteilen wollte. Dies hätte aber auch noch Zeit gehabt.
William wies nur in Richtung der Felskante, „geht nur Narvalvar“, dann eilte er zur Küche.
Narvalvar schaute sich kurz um. Nikolaj schien in ein sehr interessantes Gespräch vertieft zu sein, es lag ihm fern, ihn zu unterbrechen. Was sollte auch hier auf Ramsy Island schon passieren? Ein Drachenjäger würde es bestimmt nicht sein.
Nach dem Regen duftete die Wiese besonders intensiv. Ein paar Sonnenstrahlen lugten durch die Wolken, fielen auf die Felsen, die warm beleuchtet so vertraut wirkten. Der Wind blies jedoch noch unvermindert weiter, wehte Narvalvar einige Strähnen ins Gesicht. Plötzlich kam ihm der Gedanke, ob die aufdringliche Feuerdrachendame fernab der Gäste ihm auf die Pelle rücken würde? Allerdings konnte er niemanden sehen, wie er auf die Felskante zuging. Er sah sich suchend um. Sollte er doch besser zurückgehen, zumindest Nikolaj Bescheid sagen?
Es war schon merkwürdig, wie schnell er sich an seinen Drachenwächter gewöhnt hatte. Umso weniger konnte er seine Geschwister verstehen, die ihren Wächter immer im Hintergrund, mit Abstand von sich, wissen wollten. Der Klang der Brandung lockte ihn an die Felskante und wischte seine Überl e gungen davon. Das Tosen, wenn die Wellen gegen die Felsen peitschten, klang mit dem Nachvornbeugen unheimlich laut wider. Der Wind zerrte an seinen Haaren, was er von je her mochte. Es gab einem so ein herrlich lebendiges Gefühl und dann dieser rege Anblick des Meeres, der keine Minute gleich aussah.
„Ich wusste nicht, wie ich dich erreichen sollte.“ Eine Hand packte ihn am Arm. Erschrocken drehte er sich um, machte dabei einen Schritt von der Klippe weg. Er spürte, wie ihm der Unterkiefer nach unten fiel. „Nicole?“
„Ich - ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“ Sie schluckte. Ihre Augen sahen rot aus, als habe sie viel geweint.
Er musste sie festhalten, nur nicht wieder verlieren, deshalb nahm er sie bei den Schultern. „Ich habe mir große Sorgen gemacht. Niemand wusste, wo du bist.“
Sie nickte, schaute zu Boden. In diesem Moment wollte Narvalvar nichts weiter, als für sie da sein, der Fels in der Brandung sein, der sie beschützt. Sanft drückte er sie an sich, legte seine Arme um ihren schlanken Oberkörper. Wie gut, nein, wie gro ß artig wunderbar sich das anfühlte. Es musste ihm doch geli n gen, sie für sich zu gewinnen. Jetzt, da er sie in seinen Armen hielt, wurde ihm nochmals deutlich, wie wichtig sie für ihn war und dass er bereit war, mit ihr in jeden entlegenen Winkel der Welt zu gehen. Sie löste sich aus seiner Umarmung, sah ihn an. „Mein ganzes Leben habe ich ihm vertraut, ja zu ihm aufg e schaut.“ Sie klang verzweifelt. Nein! Sie war enttäuscht, aber von wem redete sie nur? „Was er sagte, war beinah wie ein G e setz. All die Jahre hat er uns angelogen und nicht nur mich, sondern auch Sven, sogar meine Mutter.“ Sie legte eine Pause ein, kämpfte sichtlich mit den Tränen der Enttäuschung.
Narvalvar presste die Lippen aufeinander. Er durfte ihr nicht dazwischenfunken. Es war seine Chance zu zeigen, wie gut auch er zuhören konnte.
Sie schluckte. „Ich hatte einen Großvater, von dessen Existenz ich nichts ahnte. Vater hatte immer behauptet, seine Eltern seien früh gestorben, aber…“, ihre Stimme wurde wütend, „das war eine Lüge!“ Tränen liefen ihr die Wangen herunter. „Ich wünsche mir so sehr, mehr über ihn zu erfahren. Wirst du mir alles über ihn erzählen?“
Narvalvar sah Nicole an, er spürte dabei, wie sich seine Stirn in Falten legte. Stand er auf dem Schlauch oder drehte Nicole durch? Was kapierte er hier nicht? Ihr Vater hatte sie belogen, darüber war sie enttäuscht und irgendwie ging es um einen Großvater, doch was hatte er denn mit der ganzen Sache zu tun?
„Warum siehst du mich so fragend
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