Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Gehen wir zuerst dort nachsehen!«
Wie Schatten huschten die beiden Burschen über den Hof. Das verlockende glasklare Wasser ignorierten sie tapfer, auch wenn der Durst sie nach wie vor böse quälte.
Das Halbdunkel des Stalles umfing sie wie ein schützender Mantel. Zwei gut genährte Kutschpferde drehten behäbig ihre Köpfe zu ihnen um, starrten sie kurz mit ihren großen glänzenden Augen an und widmeten sich dann wieder ihren Futterkrippen. Ganz anders reagierte der kräftige Schimmel, der in einem gesonderten Abteil stand. Der Hengst riss mit einem Ruck sein Haupt nach oben, sodass die lange Mähne aufflog wie ein Schleier. Er blähte drohend die Nüstern.
Yoyo packte Perk an der Schulter. »Komm’ dem bloß nicht zu nahe! Das ist ein Kampfross! Das stampft dich glatt zu Brei!«
»Sehe ich etwa aus, als würde ich diesen Gaul reiten wollen? Wo haben die nur ihr ganzes Viehzeug? Ich sehe keine Schafe, Ziegen, Hühner?«
»Die Herren sind nicht oft zu Hause, hast du doch gehört! Wozu sollten sie dann Vieh durchfüttern? Da ist es praktischer, sie kaufen das Fleisch für ihre Speisen auf dem Markt!«
Perk schüttelte missbilligend den Kopf. Wahrscheinlich stellte er sich die Metzger auf dem Markt der Sultansstadt vor, deren Fleischauslage man oft vor lauter Fliegenschwärmen kaum erkennen konnte. Dann deutete er auf eine Treppe, die unter das Dach des Stalles führte und huschte gebückt darauf zu. Yoyo folgte ihm.
Der Dachboden bot keine Überraschungen. Er war fast leer bis auf einige aufgestapelte Säcke. Yoyo befühlte sie und befand, dass sie wohl Futter für die Pferde enthalten mussten.
»Was befummelst du das Getreide, Yoyo? Sieh dir lieber das hier an!« Perk stand an einer Dachluke. Grelles Sonnenlicht fiel auf einen kleinen Käfig aus stabilen Metallgittern.
Verblüfft starrte Yoyo auf das Wesen in diesem Pferch. Katzenaugen funkelten ihn böse an.
»Das ist aber keine Taube!«, sagte er schließlich.
»Nein, eine Taube ist es nicht gerade! Aber es hat Flügel! Wir nehmen es mit!« Perk griff sich einen leeren Getreidesack.
»Du willst es doch nicht etwa anfassen?« Das Tier riss gerade sein Maul auf und zeigte zwei Reihen gefährlich spitzer Zähne. »Es beißt bestimmt! Und du weißt nicht, ob es giftig ist!«
»Hast du eine bessere Idee? Oder siehst du hier irgendwo andere Flügelviecher?«, grummelte Perk. Aber er riss ein Stück von dem Sack ab und schlang es sich als Schutz um die Hand. »Hilf mir! Wenn es drin ist, musst du den Sack gleich zuhalten! Nicht dass es uns entwischt nach dieser ganzen Schinderei!«
Es ging ganz schnell. Perk öffnete die Käfigtür, seine Hand schnellte vor, umfasste das Tier, das heftig fauchte, zerrte es aus seiner Behausung und warf es in den von Yoyo aufgehaltenen Sack. Aufatmend schnürte er das neue Gefängnis des Flügeltiers mit einem Strick zu, der praktischerweise über einem der Dachbalken gehangen hatte.
»So das hätten wir! Was klauen wir jetzt noch?«
»Nichts!«, sagte Yoyo. »Oder doch! Hast du irgendwo eine Wasserflasche gesehen? Inna muss etwas zu trinken haben!«
Perk warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ach, und wir müssen wohl zusehen, wie unser Blindfisch schlabbert und selbst verdursten? Unten im Stall habe ich Wasserschläuche gesehen. Ich fülle einen davon draußen am Brunnen. Du versuchst inzwischen, mit diesem Vieh wieder über die Mauer zu kommen!«
»Nein!« Yoyo grinste.
»Was heißt nein? Willst du für den Rest deines Lebens hier auf dem Stallboden hocken?«
»Nein, wir klettern nicht zurück über die Mauer! Ich habe eine schmale Mannpforte unten im Stall gesehen. Sie muss nach draußen führen!«
Vorsichtig hob Yoyo kurze Zeit später den schweren Querbalken aus seinen Riegeln, der die Pforte am hinteren Stallgang versperrte. Das Teil war verdammt schwer und würde mörderisch poltern, wenn er es fallen ließ. Schweißperlen tröpfelten von seiner Stirn in seine Augen, als er den Balken endlich in das Stroh auf dem Boden legen konnte. Der weiße Hengst scharrte schnaubend mit den Vorderhufen.
Yoyo zog an der kleinen Tür, die wirklich nur einem einzigen Menschen Durchlass gewährte, und das auch nur, wenn er sich bückte. Das Türblatt ächzte und stöhnte, endlich ruckte es in den Angeln.
»Bist du hier bald fertig?«, zischte es hinter ihm. Yoyo zuckte zusammen.
»Eines Tages erschlage ich dich aus Versehen, weil du mich so erschreckt hast!«, fuhr er Perk an, der den zur Hälfte mit Wasser gefüllten
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