Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
kochen! Aber dein Herz wird noch immer schlagen, meine Schöne! Es wird ein erhabenes Gefühl für dich sein, wenn du zusehen musst, wie deine Bauchdecke schwarz wird und aufplatzt …«
Sie hatte sich vergebens die Finger in die Ohren gestopft. Mittlerweile verstand sie, warum der Sultan so betont hatte, dass das Erdrosseln des Verurteilten vor der Verbrennung eine Gnade sei.
Aber sie hatte sich fest vorgenommen, vor Anadid keine Schwäche zu zeigen. Sie würde diesem menschlichen Ungeheuer zeigen, in welcher Würde eine Prinzessin des Westlichen Königreiches zu sterben verstand! Als das blaue Leuchten in der Fensterscharte des Kerkers verblasste und einem rosa Schimmer wich, zog Janica das Kleiderpaket unter der Strohschütte hervor. Der Morgen brach an, der letzte Morgen in Janicas Leben.
Wunschgemäß hatte Waja ihr das grüne Gewand zukommen lassen. Es war die Kleidung, die Kana-Tu ihr gegeben hatte an jenem Tag, als sie an den Sklavenhändler verkauft wurde. Es war auch der Tag gewesen, an dem sie Avid zum erstenmal begegnet war, Avid, ihrem neuen Herren - in jeder Beziehung. Die Erinnerung an die eine Nacht, die ihr mit ihm vergönnt gewesen war, ließ sie lächeln. Es war ein Trost – der einzige Trost - , dass sich ihre Seelen bald vereinen konnten, irgendwo in der Unterwelt. Der kratzige Kittel, den Anadid ihr zugestanden hatte, glitt auf die Steinquader des Bodens. Janica strich sich mit beiden Händen über die zarte weiße Haut ihrer Brüste, ihres Bauches, der Schenkel, als würde sie auf diese Weise Abschied nehmen wollen von ihrem Leib. Noch war ihr Fleisch unversehrt.
Waja hatte einen passenden Schleier beigelegt, safrangelbe Seide im Ton der Stickereien auf Janicas Kaftan. Dankbar wand sich die Prinzessin den Stoff um den Kopf. Die alte Frau musste gewusst haben, dass Janica froh war, sich verhüllen zu können. Nach den langen Tagen und Nächten ohne Bad in diesem Kerker war ihr sonst so schönes Haar verfilzt und verklebt. Einen Augenblick lang zögerte sie, die feinen Pantoffel an ihre schmutzigen Füße zu ziehen. Musste die auf Wattevlies gesteppte Seide nicht augenblicklich, kaum dass der Henker den Scheiterhaufen entzündet hatte, in Flammen aufgehen und ihre Zehen verkohlen lassen?
Grimmig schüttelte Janica den Kopf. All diese Gedanken waren müßig. Sie sah hinauf zu dem Spalt in der Mauer, der ihr den Blick zum Himmel freigab. Der Tag war angebrochen, Janica sah ein weißes Wolkenfetzchen vorbeiziehen. Falls Kana-Tu und sein Onkel Kajim Wajas Nachricht überhaupt erhalten hatten, konnten sie jetzt nichts mehr für sie tun. Vielleicht wollten sie das auch gar nicht. Wieso sollten sie sich wegen einer Sklavin mit dem mächtigen Sultan des Wasserlandes anlegen!
Die Wachen ließen ihr keine Zeit für weitere Grübeleien. Janica hörte das Rasseln des Schlüsselbundes draußen vor der Tür, das Ächzen des eisernen Riegels im Schloss.
»Komm’ raus!«, sagte einer der Reisigen emotionslos. Anadid hatte vier schwerbewaffnete Männer geschickt, um sie abzuholen, registrierte Janica mit einer gewissen Genugtuung. Offenbar wurde sie als sehr gefährlich eingeschätzt. Sie war froh, dass er nicht selbst gekommen war, um sie auf ihrem letzten Gang zu begleiten. Auch ohne die gehässigen Ergüsse des Prinzen würde ihr dieser Weg schwer genug werden.
»Leg’ deine Hände nach hinten, Frau! Wir haben Befehl, dich zu binden!« Der Soldat zog einen Strick straff um Janicas Handgelenke und kontrollierte dann gewissenhaft, ob die Fesseln auch richtig saßen. Irgendwie kam Janica die Situation absurd vor. Es war noch gar nicht lange her, da hatte der Sklavenhändler Hanad Gur Hanadem sie mit ebenfalls gebundenen Händen in den Sultanspalast geschleift. Es schien, als würde ihr in letzter Zeit alles doppelt und dreifach widerfahren. Wie gut, dass man nur ein einziges mal sterben konnte! Obwohl – dessen war sich Janica nach dem Erlebnis im Drachenmaul auch nicht mehr so sicher!
Kein Wunder, dass sie bitter auflachte, als die Männer sie nicht wie erwartet auf den Hof hinausführten, sondern in das Zimmer des Kommandanten der Fluchtburg stießen. Der feiste Mann, der ihr dort entgegenblickte, war zweifellos ein Priester. Seine wallenden weißen Gewänder unterschieden sich zwar von der nachtblauen Robe des Hofpriesters in ihres Vaters Schloss, aber seine Aufgabe – und seine Statur - war sicher die Gleiche: Mit den stets sehr schweigsamen Göttern zu sprechen und ihren Willen zu
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