Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Hörnchens! Überall Flöhe! Pfui Spinne!«
»Das Elsternest? Noch immer auf dem Baum!« Gerun legte sich ihren Gürtel wieder um und deutete vage nach oben.
»Was? Nein, nein, nein!« Nuffl stampfte mit dem Fuß auf, was ob seiner Größe lächerlich wirkte. »Du unnützes Ding!«
Gerun ignorierte den Wutanfall des Elfen und sah sich suchend um. Das Gras stand hoch, wie jeden Tag taumelten bunte Schmetterlinge über die Blüten in der Wiese. Es würde eine Heidenarbeit werden, nach dem Garnknäuel zu suchen. Da tröstete es auch nicht, dass es immerhin so groß wie zwei Männerfäuste war.
»Hör’ auf zu schimpfen, Nuffl, und hilf’ mir suchen! Ich habe die Fäden zu einem Knäuel aufgewickelt!«
Das Garn fand sich schließlich im flachen Wasser des Sees. Gerun musste Stiefel und Strümpfe wieder ausziehen und den Rock raffen, um ihre Beute zu bergen.
»Oh! Patschenass!«, sagte sie und drückte das Wasser mit beiden Händen aus dem Knäuel.
Entsetzt starrte der Elf sie an. »Wie gehst denn du mit dem Schicksal anderer Menschen und … und äh … Wesen um? Nicht genug, dass jetzt Wasser ins Spiel kommt, du quetschst auch noch daran herum! Und was ist denn das? Knoten? Du hast die Fäden verknotet?«
Nuffls Stimme war immer höher geworden, er quiekte fast. Gerun hatte nicht gewusst, dass auch Elfen totenbleich im Gesicht werden konnten. Jetzt rang er auch noch seine winzigen Hände.
»Was hast du nur getan, du Unglückselige! Du hast Schicksale verknüpft, deren Lebenswege sich sonst nie gekreuzt hätten! Wehe, wehe! Ich kann mich nirgends mehr in der Anderswelt sehen lassen! Ich habe versagt!«
Gerun schüttelte verständnislos den Kopf.
»Wenn dir das nicht gefällt, hättest du das Garn eben selbst aus dem Nest holen müssen! Ich bringe das Knäuel jetzt zu den Nornen, die werden schon wissen, wo sie die Schere ansetzen müssen! Und wenn du dich nicht nach Hause wagst, bleibst du eben bei mir! Da wird mir wenigstens die Zeit nicht lang!« Ihr Lächeln geriet etwas schief, und die Traurigkeit in ihrer Stimme verriet, was sie wirklich fühlte: »Ich sitze schließlich die nächsten hundert Jahre hier fest!«
Sie achtete nicht auf Nuffls jämmerliches Heulen, als sie sich wieder einmal Strümpfe und Schuhwerk an die Füße zog und anschließend auf das Haus der Nornen zuschritt.
»Die Elstern haben euch Garn gestohlen, gute Frauen!«, sagte Gerun und legte das Knäuel auf den Tisch. Die blinde Norne der Zukunft wandte ihr den Kopf zu und lächelte sie an.
»Alles hat seine Bestimmung, Gerun! Aber du solltest dich schonen, anstatt auf Bäumen herumzuklettern. Du willst doch deinem Kind keinen Schaden zufügen, nicht wahr?«
»Kind?« Gerun war plötzlich zumute, als würde der Boden schwanken. Sie tastete nach der Tischplatte, um sich festzuhalten, und ließ sich auf einen der Stühle sinken. Diese Attacken von Übelkeit, ihr ausgebliebenes Monatsblut, jetzt endlich begriff sie die Zeichen – in ihrem Leib wuchs ein Baby heran!
»Oh, Nadif! Warum bist du fortgegangen? Jetzt wirst du deinen Sohn nie in den Armen halten!« Ihr stiegen die Tränen in die Augen.
Die Norne der Zukunft tastete nach ihrem Arm, griff nach Geruns Hand.
»Nadif? Nein, der Krieger hat nichts mit deinem Baby zu schaffen! Denk’ nach, Gerun!«
Erschrocken legte Gerun die freie Hand auf ihren Bauch. Konnte das sein? Trug sie Prinz Ferinics Kind? Und war es nicht letztlich gleichgültig, wer der Vater des Babys war? Dieses Kind war gefangen wie sie selbst, es würde in dieser Oase sterben wie seine Mutter auch. Kaum ein Mensch erreichte das Alter von einhundert Jahren, und erst dann würde sich der Weg nach draußen wieder öffnen, wenn Nuffl nicht gelogen hatte!
»Du machst dir Sorgen, Gerun! Das brauchst du nicht! Jegliches, was geschieht, hat seinen Sinn!«, sagte die Norne milde. »Komm’, hole für uns alle Frühstück aus der Küche, auch für diesen kleinen Elf, den ich draußen vor der Tür herumzappeln höre! Wenn wir satt sind, sieht die Welt viel freundlicher aus! Glaube mir, am Ende wird alles gut!«
43.Kapitel: In der Höhle des Drachens
Kajim öffnete die Tür und schlurfte von einem Schwall kalter Luft begleitet ins Innere der Höhle. Es war Kana-Tu ein Rätsel, wie der Onkel in diesen großen Hausschlappen überhaupt laufen konnte, ohne zu stolpern und auf seine Nase zu fallen.
»Schau’ an, lieber Neffe, was uns da zugeflogen ist!« Der alte Mann schubste die Tür mit einem Fuß wieder
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