Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
hübschen Frau anfangen kann! Selbst ich alter Zausel hätte da noch einige passende Vorschläge auf Lager!«
Kana-Tu setzte den Krug ab und hustete heftig, weil er sich verschluckt hatte. Nach Luft japsend ächzte er: »Das Mädchen nervt einfach! Laufend plappert sie mir von diesem Avid die Ohren voll!«
»Und das stört dich? Prima, dann ist die Sache doch klar: Du liebst sie!« Kajim grinste verhalten.
»Nein!«, fauchte Kana-Tu so heftig, dass der Greif erschrocken die Augen aufriss und die Flügel lupfte.
»Doch! Willst du etwa abstreiten, dass du hochgradig eifersüchtig auf einen gewissen Prinzen bist, der noch dazu längst auf dem Grund des Meeres ruht? Es liegt doch an dir, das Mädchen diesen Avid vergessen zu lassen! Oder fühlst du dich nicht Manns genug, die Kleine ordentlich durchzuvögeln?«
Der Weinkrug krachte hart auf die Tischplatte. Schweigend starrte Kana-Tu auf seinen Onkel. Kajim stierte gelassen zurück.
»Ich kann das nicht!«, flüsterte Kana-Tu schließlich. »Sie wird altern und sterben, und ich müsste dabei zusehen! Ich würde bestimmt so irrsinnig werden wie mein Vater vor lauter Kummer!«
»Unfug! Willst du aus lauter Angst vor der Zukunft auf viele wunderbare Jahre deines Lebens verzichten? Findest du es wirklich erstrebenswert, hier Jahr für Jahr neben deinem alten Onkel am Kamin zu hocken und dem Greifen das Fell zu kraulen? Jetzt leg’ die Flügel an und kehre zurück ins Tal des Gletschersees! Aber flugs!«
»Meinst du wirklich?« Zweifelnd malte Kana-Tu mit seinem Zeigefinger Kringel in die kleine Weinpfütze auf dem Tisch.
»Bist du ein Drache oder ein Schlappschwanz?«, entgegnete Kajim.
Kana-Tu kniff die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen. Dann nickte er und ging zur Tür.
»Halt!«, rief Kajim ihm nach. »Du hast etwas vergessen!«
Er griff unter seinen Sessel und warf Kana-Tu ein gut verschnürtes Päckchen zu.
»Was ist das?« Ratlos drehte Kana-Tu das weiche, in Leintuch geschlagene Paket in seinen Händen.
»Du wirst es brauchen, Brudersohn! Glaube mir, es war nicht billig, und ich musste den Ehrwürdigen Händler Hanad Gur Hanadem sogar ein bisschen mit dem Dolch kitzeln, damit er mir das noch vor meiner überhasteten Abreise aus Wasserland besorgte!« Kajim setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf. »Jetzt hau’ schon ab!«
Kana-Tu bemühte sich, die Tür so geräuschlos als möglich zu schließen.
51. Kapitel: Auf der Flucht
Janica gähnte lautstark.
»Ich bin müde!«, sagte sie zu Tirina und schob ihren Teller zurück. Sie hatte das Gemüse für die Suppe selbst putzen müssen, eine ganz neue Erfahrung für die Prinzessin. Tirina war unerbittlich gewesen, auch wenn sich Janica reichlich ungeschickt angestellt hatte und die Schale in dicken Brocken von den ihr unbekannten Wurzeln abgeschnitten hatte, statt in hauchdünnen Streifen wie Tirina. Letztlich hatte ihr das gemeinsame Kochen dann doch Spaß gemacht, und die Suppe hatte wirklich sehr lecker geschmeckt. Wie schade, dass ihr nicht die Zeit blieb, das Zubereiten von Speisen von der älteren Frau zu lernen!
Janicas Entschluss stand fest. Sie wollte nicht zurück in das Westliche Königreich. Was sollten die Untertanen Ferneks davon halten, wenn die dem Drachen geopferte Jungfer plötzlich wieder auftauchte! Davon abgesehen, Janica hatte keine Lust mehr auf das langweilige Leben einer Königstochter. Sie würde wieder keinen Schritt allein gehen dürfen, eine Zofe würde am Fußende ihres Bettes schnarchen, die verknöcherte Tanzlehrerin Saragrandemissa Mendesa von den Silbergrashöhen würde ihr lispelnd erläutern, dass sie sich nicht gerade genug hielt und zu große Schritte machte ... Und schließlich würde sie dann doch noch irgendeinen Sprössling des Nordherrschers heiraten müssen.
Nein, das alles wollte Janica nicht! Wenn Kana-Tu sie nicht haben mochte, musste sie schleunigst von hier verschwinden, bevor er sie zu ihrem Vater zurückbrachte!
Janica sah vorsichtig zu Tirina hin. Die Frau pustete gerade in ihren heißen Tee, den sie mit dem spärlichen Rest des Branntweins aufgefüllt hatte. Ahnte sie von Janicas Fluchtplänen? Wahrscheinlich nicht, denn Tirinas Gesicht wirkte völlig entspannt und sorglos.
»Dann geh’ doch einfach schlafen, Kleines! Du weißt doch, wo das Bett steht!«
»Soll ich etwa wieder in Kana-Tus Lagerstatt schlafen?«
»Warum nicht? Er ist doch sowieso nicht da!« Tirina lächelte ihr milde zu.
»Ich wünsche dir eine gute Nacht!«, sagte
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