Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
der Gerichte, die aufgetragen wurden.
Avid zog sich einen Stuhl dicht an Janicas Seite.
»Darf ich dir auflegen?«, fragte er höflich. Sie nickte huldvoll, und Avid griff nach dem gezahnten Fleischmesser, das auf dem Rand einer der Silberplatten bereitlag. Fasziniert sah sie zu, wie er hauchdünne Fleischscheiben von einem großen Stück Braten schnitt und das seiner Meinung nach saftigste Stück auf ihren Teller legte. Es gab schlimmere Schicksale, als einen solchen Mann zu ehelichen, gestand sie sich nach dem ersten Bissen ein.
19.Kapitel: Eine alte Tante spricht Klartext
»Ich werde Janica heiraten, sobald ich von meiner nächsten Reise zurückkehre! Ich möchte, dass ihr alle sie so behandelt, als wäre sie jetzt schon meine Gemahlin!« Avid lieferte Janica mit diesen Worten wieder in den Haremsgemächern seines Palastes ab.
Seine Tante Waja stieß einen ganz allerliebsten kleinen Entzückensschrei aus.
»Prinz Avid, das ist ein guter Entschluss! Es wird wirklich Zeit, dass du dir ein Weib nimmst! Warum willst du so lange mit der Hochzeit warten?«
Janica konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, als Avid genervt aufstöhnte: »Tante Waja, morgen mit der Abendflut läuft mein Schiff aus. Diese Frau hier hat eine prunkvolle Hochzeitszeremonie, wie sie einem Sohn des Herrschers gebührt, verdient. Ich überlasse es dir, das Fest schon vorzubereiten. Gleich nach meiner Rückkehr aus Jeffilo soll Janica meine Hohe Frau werden!«
Damit war das Thema für ihn abgehandelt. Er griff nach Janicas Händen, hob sie an seine Lippen und küsste ihre Finger, jeden einzelnen. Dann drehte er sich abrupt um und flüchtete regelrecht aus den Frauengemächern.
»Ich werde aus diesem Jungen nicht schlau!« Waja schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »aber ich bin froh, dass er dich, das Geschenk seines Vaters, auf diese Weise annimmt. Vielleicht schaffst du es ja, ihn zur Sesshaftigkeit zu bewegen! Ich komme jedes Mal, wenn er über das Meer segelt, fast um vor Sorge, die Wassergeister könnten ihn verschlingen!«
»Wassergeister?« Janica schaute die alte Frau fragend an.
Waja nickte: »Wer weiß schon, welche Dämonen jenseits der Klippen in den Tiefen des Ewigen Meeres leben! Wie oft verschwinden Boote samt Besatzung auf Nimmerwiedersehen! Die letzte Brigantine ging verloren, als Avid vierzehn Jahre alt war. Eigentlich wollte mein Bruder kein so großes Schiff wieder bauen lassen, aber Avid hatte zu Beginn seines Mannesalters einen Wunsch frei. Er ersehnte sich ein Schiff, und er bekam es auch. Seit gut zehn Jahren fährt er über das Meer, und ich habe das schlimme Gefühl, dass sein Vorrat an Glück bald aufgebraucht sein könnte! Ach, was schwatze ich alte Frau nur für ein dummes Zeug! Du wirst baden wollen nach der staubigen Fahrt über das Land! Ich rufe die Bademädchen!«
Janica widersprach nicht und ließ sich von Waja in die Räume dirigieren, in denen sie die letzte Nacht verbracht hatte. Die Gemächer der Gemahlin standen ihr ja wohl jetzt offiziell zu, und die kleine Reise an die Küste hatte sie tatsächlich etwas erschöpft.
Zwei Dienerinnen huschten an ihnen vorbei, schoben den Vorhang zur Seite und erwarteten Janica am Rande des Wasserbeckens.
»Dies ist die Braut unseres Prinzen Avid. Ihr schuldet ihr Respekt und Gehorsam! Jetzt badet und salbt sie, bürstet ihr Haar und bereitet sie für die Nacht vor, wie es der zukünftigen Herrin dieses Hauses gebührt!«, befahl Waja den Dienerinnen mit strengem Blick, bevor sie davonrauschte.
»Bitte, Hohe Frau, dürfen wir Euch aus den Kleidern helfen?«, sagte eine der Frauen leise. Janica fühlte sich plötzlich wie betäubt. Musste sie nicht gleich aus diesem Traum aufwachen? Gleich würde sie in ihrem Bett im heimatlichen Schloss aufschrecken und Geruns leises Schnarchen hören. Oder das Rascheln des Strohsacks, wenn sich die Zofe wieder einmal davonschlich in die Kammern der Wachsoldaten zu Nadif.
Doch nein, es waren nicht die vertrauten Hände Geruns, die jetzt ihre Schärpe löste und ihr den Kaftan über den Kopf streiften. Janica ließ es geschehen, dass sich die Hände der fremden Frauen an ihrem Körper zu schaffen machten. Eine der Dienerinnen stieg sogar mit ihr in das angenehm warme Wasser des Beckens und rieb ihre Haut mit einer schäumenden Lotion ab, nässte auch ihr Haar und spülte es aus. Die andere trocknete Janica danach ab, warf ihr ein hauchdünnes Cape über die Schultern, führte sie zum Bett und begann ihr das Haar zu
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