Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
dem auch Schiffe ankern können, die größer sind als ein Fischerkahn!«
Janica musterte fröstelnd die Kähne im Hafenbecken. »Die anderen Händler müssen mit diesen kleinen Schiffen auf das Meer hinaus? Bei allen Göttern, die können doch höchstens drei oder vier Ballen Stoff transportieren!«
»Ein paar mehr sind es schon, und es lohnt sich trotzdem für sie. Außerdem müssen die Kaufleute froh sein, wenn mein Vater ihnen eine Lizenz für den Seidenhandel gibt. Nur der Sultan selbst darf Seide außer Landes bringen!«
»Das möchte ich sehen, wie Werid Gur Waradem höchstpersönlich die Stoffballen herumschleppt!«, murmelte Janica und handelte sich einen strafenden Blick von Avid ein.
»Du solltest solche Sachen lieber nicht laut sagen!« Er ließ die Zügel leicht auf die Rücken der Pferde klatschen, damit sie wieder antrabten. »Aber wir sind nicht wegen des Schiffes nach Nurripur gekommen. Ich habe heute morgen ein wenig gelogen, schöne Janica!«
Was wollte er mit diesen Worten sagen? Janica runzelte die Stirn. Dieser Ausflug bekam eine mysteriöse Note, und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Avid lenkte die Kalesche durch einen Mauerbogen, und wieder einmal schlossen sich Tore hinter dem Gefährt.
»Wir haben Euch erwartet, Herr!« Ein eifrig katzbuckelnder Mann mittleren Alters fasste nach den Zügeln, kaum dass der Wagen zum Stehen gekommen war. Avid nickte nur und sprang mit einem Satz vom Kutschbock. Janica kam nicht recht dazu, die Gelenkigkeit des Prinzen zu bewundern, denn schon griff er nach ihrer Taille und hob sie mit so viel Schwung auf den Boden, dass sie strauchelte und in seinen Armen landete. Da war es wieder, dieses sonderbare, kribbelnde Gefühl!
Avid hielt sie ein wenig länger fest, als es notwendig schien. Dann reichte er ihr in höfischer Sitte den Arm, und wie Janica es gelernt hatte, legte sie sittsam ihre Finger leicht auf seinen Unterarm, damit er sie führen konnte. Sie bemerkte nicht das leichte Aufblitzen seiner Augen. Er geleitete sie eine große Freitreppe zu einem imposanten Gebäude hinauf. Drei Stockwerke, ganz aus Stein gemauert, erstreckten sich zur ganzen Länge des Hofes hin. Der Rest des Gevierts war von Ställen und anderen Wirtschaftsräumen, die Janica nicht auf den ersten Blick ihrer Funktion zuordnen konnte, umrahmt.
»Das ist der Handelshof meines Vaters. Alle Ware, die dem Sultan gehört, wird in diesen Gebäuden gelagert und von hier aus verschifft. Du siehst hier den Grundstein der vollen Schatzkammern in seinem Palast! Und während mein Bruder Anadid nichts anderes tut, als diesen Reichtum zu verprassen, mühe ich mich, ihn zu mehren!« Avid verbarg den Stolz in seiner Stimme nicht.
Mittlerweile wunderte es Janica nicht mehr, dass sich hier die Türen wie von selbst öffneten. Sie betrat an Avids Seite eine Halle, die trotz der vier großen Fenster auf der Hofseite ein wenig dämmrig erschien. Das mochte daran liegen, dass diese Fenster mit farbigen Glasreliefs ausgestattet waren, die Meeresszenen mit Schiffen, großen Wogen und Fischen darstellten. Außer der betont unauffällig umherhuschenden Dienerschaft hielten sich in diesem Raum noch zwei Männer auf, die sich respektvoll von ihren Stühlen an einer langen Tafel erhoben hatten und den Prinzen mit einer Neigung ihres Kopfes grüßten.
»Du siehst hier Kapitän Thalid und den Steuermann meines Schiffes, meine besten und treuesten Freunde!«, stellte Avid die Anwesenden kurz vor, bevor er Janica zu einem Sessel am Kopfende des Tisches geleitete und ihn für sie zurechtrückte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu setzen, wenn sie nicht unhöflich erscheinen wollte. Der Prinz goss ihr höchstpersönlich aus einem bereitstehenden Krug Wein in einen der zierlichen Becher auf den Tisch, bevor er sich selbst einen kräftigen Schluck gönnte.
»Nun, habt ihr gefunden, wonach ich euch suchen ließ?« Avid setzte sein Trinkglas hart auf und sah seine Gefährten erwartungsvoll an.
»Es war schwierig!«, sagte der ältere der Männer, in dessen langen dunklem Bart einige Silbersträhnen blitzten. Er war schlicht und praktisch wie ein Krieger in enge Hosen, lange Schaftstiefel und eine Tunika aus dunkelblauem Tuch gekleidet, aber Janicas geübtem Auge entging nicht, dass seine Gürtelschließe und auch die Scheide seines Säbels feinste Silberschmiedearbeit war. Das musste der Schiffsführer sein.
»Wir fanden nur einen alten Trunkenbold in einer Taverne der Sultansstadt. In Wasserland
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