Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Sache gewesen, die Mägde mussten das Wasser in Eimern zum Zuber schleppen, nachdem es in den großen Kesseln über dem Küchenfeuer erhitzt worden war. Tief einatmend gab sie sich ganz dem Gefühl des Schwebens hin. Avid. Bald würde er wieder bei ihr sein!
Sie fuhr erschrocken zusammen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Das war ungewöhnlich, die Dienerinnen klopften immer höflich, bevor sie den Raum betraten. Janica rutschte sogar ein wenig unter Wasser und bekam Wasser in die Nase. Hustend und schniefend zog sie sich aus dem Becken und sah sich Waja und Nadana gegenüber. Die beiden älteren Frauen wirkten irgendwie … verstört?
Nadana hob eines der Tücher, die wie gewöhnlich ordentlich gestapelt neben dem Wasserbecken zum Abtrocknen bereitlagen, auf und hüllte Janica darin ein. Die Prinzessin bemerkte, dass Nadanas Augenlider geschwollen waren und das Weiß ihrer Augäpfel von feinen roten Äderchen durchzogen war. Die alte Amme hatte geweint. Und Waja hatte ihr langes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar nicht wie gewohnt sorgsam aufgesteckt und mit einem Schleiertuch bedeckt, sondern es hing ihr in zerzausten Strähnen über die Schultern. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht! Janicas Herz klopfte plötzlich hart gegen ihre Rippen. Dann bemerkte sie die Taube.
Waja hielt den armen Vogel mit beiden Händen kopfüber fest. Die rosafarbenen Krallen ruderten matt in der Luft. Janica konnte die kleine offene Hülse am Bein der Brieftaube sehen. Offenbar war gerade eine Nachricht eingetroffen, die beide Frauen tief getroffen hatte.
»Avid?«, flüsterte Janica heiser. Sie konnte kaum sprechen, die Angst um den Mann, den sie doch gerade erst zu lieben gelernt hatte, schnürte ihr die Kehle ab.
Waja nickte.
»Es gab eine Explosion, sein Schiff ist jenseits der Klippen gesunken.«
»Wurde … jemand gerettet?« Janica war froh, dass Nadana sie an den Schultern festhielt, weil sie das Gefühl hatte, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen.
Waja hob in hilfloser Geste die Schultern etwas an.
»Das wissen wir nicht. Aber wenn es hinter den Klippen passiert ist … Kein Fischer kann mitten in der Nacht dort hinausfahren!«
Janica verstand, was Waja damit sagen wollte. Es gab so gut wie keine Hoffnung. Sie würde Avid nicht wiedersehen, Die Meergeister hatten seinen Leib geholt. Vielleicht gaben sie wenigstens seine Seele frei.
Sie starrte auf die Taube, deren Köpfchen verzweifelt hin und her ruckte. Waja merkte gar nicht, dass sie das Tier fast erdrückte. Janica streifte das Tuch von sich und griff nach dem Vogel.
»Gib sie mir, Waja!« Sanft zog sie die Brieftaube aus Wajas verkrampften Händen. »Bitte, Nadana, kannst du dafür sorgen, dass sie in ihren Schlag gebracht wird und gutes Futter bekommt?«
Die Amme nickte und griff sich das Tier. Sie weinte schon wieder. Schweigend huschte sie hinaus.
Wie betäubt ging Janica zum Bett und ließ sich fallen. Waja folgte ihr und schob ihr ein Laken über die nackten Schultern, bevor sie sich zu ihr setzte, einen Arm um sie legte und Janica an sich zog.
Eine einzige Träne löste sich aus Janicas Augenwinkel.
»Und was passiert jetzt? Mit mir?«, flüsterte sie heiser.
Wajas von kleinen Fältchen durchzogenes Gesicht sah auf einmal sehr blass und sehr alt aus.
»Ich weiß es nicht.«
27.Kapitel: Auf dem Weg ins Nichts
Nadif konnte die Pferde noch so antreiben, sie bewegten sich einfach nicht schneller. Die betagten Rösser behielten ihre gemächliche Gangart bei, ganz egal, wie laut dieser ungeduldige Mensch auch schimpfte und die Fersen in den Bauch seines Reittieres stemmte. Gerun fand das Verhalten der Tiere sehr lobenswert, denn Nadif war nach dem überstandenen heftigem Fieberschub noch sehr schwach. Eingestehen würde er sich das natürlich niemals!
Am ersten Tag nach dem sonderbaren Besuch des Elfen Nuffl waren sie nicht weit gekommen. Nach dem enthustiastischen Aufbruch Nadifs schlug das Fieber wieder zu. Es brauchte den Rest von Nuffls Tee und eine durchwachte Nacht, in der Gerun ständig kalte Wickel um Nadifs Waden schlang und seine Stirn kühlte, um ihn wieder auf die Beine zu bringen..
Am folgenden Morgen gab sich Nadif wieder so geschäftig, als könne er die Welt einreißen und den Himmel pflügen. Gerun war froh, dass der ungeduldige Krieger gegen Mittag eine Pause einlegte.
»Du bist doch müde, Gerun?«, fragte er in besorgtem Ton. Sie spürte die Lüge in seinen Worten. Natürlich war sie hundemüde, in den
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