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Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Titel: Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Alderwood
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und sich tief in sein Hirn bohrte. Er sah auch, wie das Schiff mit kreischendem Todesschrei in der Mitte auseinanderbrach, wie ein Matrose mit blutigen Armstümpfen vergebens versuchte, sich am splitternden Mastbaum festzuhalten und wie eine Rahe speergleich in das dunkle Wasser hinabschoss und mehrere Männer mit sich riss. Seltsamerweise sah Avid auch sich selbst, von der Wucht der Detonation durch die Reling gedrückt, die hinter ihm brach wie Zuckerwerk. Er flog in weitem Bogen von der Windjäger hinweg und schlug hart mit dem Rücken zuerst auf das Wasser auf.
    Die eisige  Kälte und der Schmerz holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Er paddelte und ruderte, ohne zu wissen, warum er das eigentlich tat. Hartnäckig pochte ein Gedanke in seinem Kopf, nur ein einziger Gedanke: Fort! Er musste fort von dem Schiff, oder besser, von dem, was von der Windjäger noch übrig war. Wenn die Meergeister die Wrackteile nach unten zogen, war dem Sog des sinkenden Schiffes nicht mehr zu entkommen. Avid schwamm um sein Leben. Um die Trümmer der Brigantine bildete sich ein Wirbel, der alles, was sich darin befand, hinabziehen würde in ein tiefes nasses Grab.
    Avid hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war, als er es endlich wagte, sich umzusehen. Ihm kam es vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit er in die Wasser des Ewigen Meeres gestürzt war. Rings um ihn herum war alles schwarz, schwarzes Wasser, ein dunkler Himmel. Von dem Schiff war nichts mehr zu sehen. Gar nichts. Als hätte es die Windjäger nie gegeben.
    Er konnte seine Arme und Beine nicht mehr spüren. Eine Welle aus purem Schmerz überflutete seine Seele. Warum nur war er vom Grab der Windjäger fortgeschwommen? Wenn das Schiff ihn mitgerissen hätte, wäre alles schon vorbei. Jetzt, da Avids Gedanken sich ordneten, erkannte er, dass er den Häschern der Unterwelt nicht entkommen würde. Es war viel zu kalt, um sich für längere Zeit schwimmend über Wasser zu halten. Die ersten Retter konnten frühestens mit Tagesanbruch aus Nurripur aufbrechen, und noch immer trieb die auslaufende Ebbe ihn weiter hinaus auf das Meer.
    Avid drehte sich auf den Rücken und breitete die Arme aus. Er wollte wenigstens die Sterne und den tröstenden Schein der blauen Mondsicheln ansehen, während er auf den Tod wartete.
    Zeit und Raum verloren jegliche Bedeutung. Er trieb dahin, und die Kälte der See drang tiefer und tiefer in ihn ein. Das Wasser war erstaunlich ruhig, sanfte Wellen wiegten ihn, wie ihn einst die Arme von Waja und Nadana gewiegt hatten, als er ein mutterloses Baby war. Wirre Gedankenfetzen huschten durch Avids Hirn, ein Knäuel aus Erinnerungen, das er nicht mehr entwirren konnte. Ein Name tauchte auf, wie ein Wetterleuchten am Horizont - Janica.
    Alles war gut. Woher die Wärme auch immer kam, sie umschmeichelte Avid wie ein weicher Mantel. Er ließ sich fallen und sank.
    Avid schloss die Augen nicht, als sein Körper dem Schoß des Meeres entgegentaumelte. Über ihm war die Dunkelheit der Nacht, aber unter ihm war ein grünschimmerndes Leuchten. Er war zu erschöpft, um erstaunt zu sein. Schemen und Schatten glitten an ihm vorbei. Waren das Fische oder schon die Wassergeister, die seine Seele holen wollten?
    Warum gab er dem Drang, endlich die Lungen wieder mit Luft zu füllen, nicht nach? Er brauchte nur einzuatmen, die Lungen mit Wasser zu fluten, und schon wäre dieser Spuk zu Ende. Avid hörte das Hämmern seines Herzens. Noch lebte er.
    Noch klammerte sich seine Seele an den vergänglichen Körper, aber sie wurde schwächer, machte sich bereit, loszulassen und in die Unendlichkeit zu fliehen. Der Drang, einzuatmen, wurde übermächtig.
    Avid sah ein wundervolles Wesen auf sich zugleiten. Es ähnelte einer schlanken Frau, deren langes weißes Haar im Wasser wehte, als würde es von einem Wind getragen. Es ähnelte einem Fisch mit menschlichen Zügen, mit schillernden Schuppen bedeckt und mit grazilen Bewegungen seiner kräftigen Flosse durch die Tiefe gleitend. Seine Konturen verschmolzen mit dem grünen Schimmern des Wassers ringsum. Wenn die Meeresgeister so ätherisch schön waren, konnte es nicht schlimm sein, sich ihnen hinzugeben. Avids Sinne verloschen so plötzlich wie eine Kerzenflammen im Wind.
     
     

25.Kapitel: Unglücksbote
     
    Noch in der gleichen Nacht erreichten der Bote mit der entsetzlichen Nachricht den Sultanspalast. Die Explosion war in Nurripur nicht unbemerkt geblieben, und da sich nur ein einziges Schiff jenseits der

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