Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
den Gaul jetzt erlöse, kann er uns noch einige Stunden Leben schenken!« Er tastete über den Hals des Pferdes, suchte nach der nur noch träge pochenden Ader.
»Wir könnten ihn zu dem Wald dort bringen!« Gerun deutete zu dem dunklen Streifen am flirrenden Horizont.
»Das ist kein Wald, das weißt du doch!« Nadifs Tonfall glich dem einer geduldigen Kinderfrau. »Es gibt keine Bäume in der Wüste, Gerun! Das sind Kakteenfelder, von denen wir uns fernhalten müssen. Die Stacheln sind länger als meine Finger und eisenhart. Diese Dinger sind absolut tödlich, wenn man versehentlich hineingerät!«
Als würde das noch eine Rolle spielen! Gerun sprach ihren Gedanken nicht aus und sah schweigend zu, wie Nadif sich über das gestürzte Pferd beugte. Er murmelte etwas in das zuckende Ohr des Tieres, was Gerun nicht verstand. Der Klang seiner Stimme war beruhigend, beinahe hätte Gerun nicht bemerkt, wie er das Messer in den Hals des Pferdes stieß und den Topf unter die Wunde schob. Zäh quoll das Blut hervor. Das Tier schien nicht viel gespürt zu haben, denn es lag noch immer ganz ruhig. An den trübe werdenden Augen sah Gerun, dass das Leben langsam aus ihm wich. Endgültig. Bald würde der Wind auch diese Knochen polieren.
Nadif reichte ihr den Topf hinauf.
»Trink!«, befahl er. Sie drehte den Kopf weg, der metallische Geruch frischen Blutes schnürte ihr die Kehle zu und erinnerte Gerun an den Tod der beiden Hirten.
»Das ist ekelhaft, Nadif!«, flüsterte sie.
»Ja!«, erwiderte er hart. »Wenn du dich nicht gleich neben diesen Kadaver legen und sterben willst, dann trinkst du!«
Sie griff nach dem Gefäß und schloss die Augen. Dann trank sie. Ihr Verstand wehrte sich gegen das klebrige Gesöff, aber ihr Körper ließ sie gierig schlucken. Nadif nickte zufrieden. Ungerührt nahm er ihr den Topf wieder ab, als er der Meinung war, dass Gerun genug getrunken hatte, leerte ihn in einem Zug und verstaute ihn wieder im Gepäck. Dann griff er nach den Zügeln seines Ponys. Er hatte dem erschöpften Tier angesehen, dass es ihn nicht länger tragen konnte. Schritt für Schritt schleppte er sich den Weg durch den Sand, immer in Richtung Osten und zerrte das Tier hinter sich her. Dumpf und mit hängenden Köpfen folgten ihm die beiden anderen Pferde.
Gerun gab sich unter der erbarmungslosen Sonne einem Dämmern hin. Sie schlief nicht, doch sie war auch längst nicht mehr wach. Traumbilder umgaukelten sie. Sie glaubte sich wieder in Nadifs Kammer, fühlte seine Hände über ihren Körper gleiten. Oder war das Ferinic? Sie lächelte unter all den Tüchern, die ihren Kopf verhüllten.
»Es wird Zeit, dass du wieder zu dir kommst, du alberne Menschin!«, sagte da etwas nahe ihrem Ohr. Gerun riss die Augen auf. Nein, diesmal war es kein Traumgespinst. Der Elf war sehr real. Er flatterte heftig mit seinen ledrigen Flügeln und landete auf dem Hals des Ponys, rutschte breitbeinig die Mähne entlang, bis er rittlings vor Geruns Sattel endlich Halt fand. Das Pferd schüttelte unwillig den Kopf.
»Nuffl! Wo kommst du denn her?«
»Du könntest ein wenig mehr Begeisterung ob meines Erscheinens bekunden!« Der Elf schob sich seinen Hut auf dem Kopf zurecht, bis er wieder exakt zwischen den spitzen Ohren saß.
»Ist dir schon mal aufgefallen, dass ihr geradewegs ins Unglück rennt, du dummes Weib? Ihr werdet verdursten!«
»Ja!«, sagte Gerun. Es war schlicht und einfach die Wahrheit.
»Ja?«, kreischte der Elf. Besorgt sah Gerun auf. Doch Nadif tappte weiterhin stur vor sich hin. Er hatte offenbar nichts gehört.
»Keine Sorge, er kann mich nicht wahrnehmen. Wäre ja noch schöner, wenn jeder hergelaufene Mensch die Wesen der Anderswelt sehen könnte!« Nuffls große Nase bebte und er rang theatralisch seine Hände. »Pass' auf, gleich fällt der große Krieger auf die Nase, und wir beide können dann sehen, wie wir ihn wieder einmal vor den Schatten der Unterwelt retten! Worauf habe ich mich nur eingelassen!«
Tatsächlich, Nadifs Schritte waren immer schleppender geworden. Er stolperte, fing sich, stolperte wieder - und stürzte. Seine Arme und Beine machten noch einige merkwürdige Bewegungen, als würde er wie ein Käfer über den Sand krabbeln wollen, dann lag er still.
»Oh!«, seufzte Gerun.
»Da haben wir es wieder!«, grummelte Nuffl.
»Was?«
»Du machst ›Oh‹ und weißt nicht weiter!«
»Ich weiß wirklich nicht weiter!« Gerun rutschte vom Pferd und lief zu Nadif. Mühsam drehte sie ihn auf den
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