Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
den alten Mann nach dem Willen des Prinzen zu steuern. Dem Sultan durfte die Theorie des Wesirs, Avids Schiff könnte einem Anschlag mittels Schwarzpulver zum Opfer gefallen sein, keineswegs zu Ohren kommen. Nicht auszudenken, wenn er daraus die richtigen Schlüsse ziehen würde!
Inared schien der Anblick auf dem Hafenplatz den Appetit verdorben zu haben, er nippte nur ein wenig an seinem Weinpokal und starrte gedankenverloren auf das bunte Glas eines der Fenster. Das eingearbeitete Bild zeigte ausgerechnet einen Schiffsuntergang an. Ein schlangenartiges Wesen zog ein Boot in die Tiefe.
»Ehrwürdiger Ratgeber, wie ich hörte, hat Euer Enkelsohn ein Kommando in der Wache meines Vaters inne? Ist das nicht sehr gefährlich? Der Basilisk könnte nächtens entkommen!« Anadid lächelte übertrieben freundlich, wischte seine fettigen Finger am Tischtuch ab und trank dann dem Alten zu. Zunächst sah es aus, als hätten seine Worte den Wesir gar nicht erreicht, aber dann wanderte Inareds Blick von dem Fenster ab und bohrte sich regelrecht in die Augen des Prinzen.
»Ich glaube nicht, dass jemand so leichtsinnig wäre, den Basilisken frei laufen zu lassen!«, erwiderte er bedächtig.
Gut, damit waren die versteckten Drohungen ausgesprochen, dachte sich Anadid, jetzt können wir zur Tagesordnung übergehen. Er schnippte mit den Fingern.
»Hofmeister, du darfst dich jetzt zu uns setzen! Mein Bruder Avid war kurz vor dem Auslaufen der Brigantine hier im Handelshof?«
Der Angesprochene, ein unscheinbarer Mann in mittlerem Alter, näherte sich katzbuckelnd dem Tisch und setzte sich zögernd einige Plätze entfernt vom Prinzen und seinem Ratgeber an die Tafel. Nervös verschränkte er seine Finger ineinander.
»Das stimmt, der Hohe Herr Avid tauchte einen Tag zuvor mit einer jungen Frau hier auf. Ein sehr hübsches Mädchen mit Haaren wie gesponnenes Rotgold! Sie nahmen ein Mahl bei uns ein.«
»Das muss die Sklavin gewesen sein, die mein Vater Avid geschenkt hat! Ist dir dabei etwas aufgefallen? Benahm sich die Frau merkwürdig?« Anadid gefiel sich in der Rolle des Inquisitors.
Der Verwalter des Handelshofes zögerte einen winzigen Moment, bevor er antwortete: »Kapitän Khalid und der Steuermann waren hier. Das war schon seltsam, Avid spricht … sprach sich mit den Männern gewöhnlich auf dem Schiff ab. Sie hatten einen Bettler bei sich, einen widerlich stinkenden Menschen! Ich konnte sehen, dass man ihn verprügelt hatte.«
»Was wollte mein Bruder von diesem Bettler?« Interessiert beugte sich Anadid vor. Vielleicht ließ sich hieraus eine Geschichte konstruieren, die man seinem Vater als Ursache für das Unglück auf See präsentieren konnte!
Der Hofmeister hob kläglich die Schultern.
»Das weiß ich nicht. Der Hohe Herr Avid hat sämtliches Personal aus dem Raum geschickt!«
»Ach, und niemand hat versucht, zu lauschen?« Anadid grinste süffisant. »Jetzt lass’ dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, Mann!«
»Sie unterhielten sich plötzlich in einer fremden Sprache! Der Bettler, Prinz Avid, und dann auch die Prinzessin! Ich konnte nichts verstehen!«
»Die Prinzessin?« Anadid fuhr von seinem Stuhl hoch. »Welche Prinzessin?«
»Das Serviermädchen hat das später aufgeschnappt! Der Hohe Herr Avid nannte die fremde Frau so!«
»Habt Ihr das gehört, Ehrwürdiger Ratgeber? Hier ist ganz offensichtlich ein Zauberweib zugange! Oder meint Ihr, dass eine wirkliche Prinzessin vom Festland als Sklavin verkauft wird?« Anadid hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Verwalter zuckte zusammen, der alte Gelehrte strich sich hingegen nur wieder über seinen Bart und sah den Prinzen schweigend an.
»Sie hat Avid und seinen Kapitän mit einem Schadenszauber belegt, so wird es gewesen sein!«, ereiferte sich Anadid.
»Warum sollte das Weib so etwas tun?«, fragte Inared ganz ruhig.
»Was weiß ich denn? Vielleicht um unserem Seidenhandel zu schaden? Ich lasse die Frau festsetzen, damit wir sie befragen können!« Der Prinz stürmte aus dem Haus. Offenbar wollte er sogleich die Reisigen der Begleiteskorte mit dieser Aufgabe betrauen. Der Wesir seufzte leise auf.
»Wenn die Frau eine Zauberin wäre, könnte sie sich einfach Flügel hexen und davonfliegen. Oder den Hohen Prinzen in eine Kröte verwandeln.«, murmelte er leise vor sich hin. Dann wandte er sich an den verstörten Hofmeister: »Guter Mann, ich glaube, du darfst jetzt getrost wieder an deine Arbeit gehen!«
Anadid hatte tatsächlich
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