Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Sofort!«
»Aber sicher doch! Und ich will morgen früh auf der Latrine einen Goldschatz finden, damit ich mich zur Ruhe setzen kann!« Der ranghöchste Reisige packte Janica am Oberarm. »Komm, Mädchen, mach’ es uns nicht so schwer! Wenn du nicht selbst dort hinein gehst, tragen wir dich eben!«
Sie versuchte vergebens, sich aus dem harten Griff des Mannes zu befreien. Er schob sie einfach vor sich her, als wäre sie ein Möbelstück. Bei allen Göttern, es tat höllisch weh, wie er da ihren Arm zusammenpresste! Das würde einen schlimmen Bluterguss geben! Janica keilte aus wie ein störrisches Pferd und erwischte mit dem Fuß das Schienbein eines Soldaten. Die gesamte Truppe grölte belustigt auf.
»Jetzt hat mir doch dein Seidenpantöffelchen glatt das Bein zerschmettert!«, lästerte der Getroffene. Janica wandte sich nach ihm um und zielte sorgfältiger. Diesmal mit dem Knie. Der Angriff kam für den Mann unerwartet, er jaulte auf wie ein getretener Hund, krümmte sich zusammen und hielt sich beide Hände vor das malträtierte Gemächt. Janica grinste zufrieden.
»Jetzt reicht es aber!«
Der Anführer fasste Janica um die Hüfte, hob sie hoch, als wäre sie nur ein Federchen und klemmte sich das zappelnde, um sich schlagende Menschenbündel unter den Arm.
»Los, macht mir die Türen auf, damit ich diese Furie loswerde!«, brüllte er seine Untergebenen an und lief eilig los.
Janica sah nur noch das Pflaster des Hofes, Treppenstufen, mit Stein ausgelegte schmale Gänge, die nur spärlich durch Öllampen beleuchtet wurden. Ihr wurde übel. Der Mann presste ihren Leib zusammen, ihr Kopf hing nach unten und ihr ganzer Körper wippte, als wäre ein irrer Gaul mit ihr durchgegangen. Sie war heilfroh, als sie wieder auf die Beine gestellt wurde. Benommen taumelte sie gegen eine Wand aus dicken Steinquadern. Quarrend öffnete sich eine Tür vor ihr, wieder wurde sie am Arm gepackt und in einen dunklen Raum hineingestoßen. Sie stolperte und fiel. Unter ihr raschelte Stroh, von dem ein muffiger Geruch aufstieg. Die Tür hinter ihr fiel zu, sie hörte, wie Riegel zugestoßen wurden. Es wurde dunkel um sie her.
Nein, die Finsternis war nicht vollkommen! Ganz oben, unerreichbar für sie, befand sich ein winziges, kaum kindskopfgroßes Loch in der Mauer und ließ einen schmalen Lichtschein in das Gemäuer eindringen. Allmählich gewöhnten sich Janicas Augen an ihre düstere Umgebung. Es gab nicht viel zu sehen. Die Einrichtung ihrer neuen Unterkunft war mehr als karg und bestand aus einem hölzernen Eimer, in den sie vermutlich ihre Notdurft verrichten musste, einem angeschlagenen Krug und einer Schütte Stroh.
Janica brauchte nicht allzu viel Kombinationsgabe, um zu erkennen, dass man sie eingekerkert hatte.
35.Kapitel: Gerichtstag
Waja stürmte in den Audienzsaal, den Wächter, der sie aufhalten wollte, fegte sie mit einer ungestümen Armbewegung beiseite. Sie achtete nicht auf den anwesenden Hofstaat und ignorierte alle Etikette, indem sie sofort bis zu dem mit vergoldeten Schnitzereien verzierten Thronsessel, auf dem der Sultan Platz genommen hatte, zusteuerte. Den allmonatlichen Gerichtstag hielt er würdevoll von dieser Sitzgelegenheit aus ab. Urteile, zuweilen solche über Leben und Tod, vom Diwan aus zu fällen, fand selbst Werid Gur Waradem unangemessen.
Immerhin brachte es Waja fertig, zu einer Art Hofknicks zusammenzufallen, als sie vor dem Herrscher stand, und ihren Mund zu halten, bis er sie ansprach.
»Meine liebe Schwester, was lässt Euch so ungestüm zu mir eilen?«, sagte Werid schließlich huldvoll. Ein Aufatmen ging durch den Saal.
»Mein Herr Bruder, warum haltet Ihr eine unschuldige junge Frau fest? Sie hat niemandem etwas getan, und Prinz Avid wollte sie sogar zu seiner Gemahlin machen!« Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
»Dazu gibt es durchaus andere Meinungen! Aber Ihr kommt gerade zur rechten Zeit, liebe Waja! Ich erlaube Euch, auf meinem Diwan Platz zu nehmen und den Prozess zu verfolgen! Diese Frau wird soeben aus dem Kerker geholt! Inzwischen kommen wir zu dem Fall der gestohlenen Salzrinder!«
Waja erhob sich leicht ächzend, sie war schließlich auch nicht mehr die Jüngste, und setzte sich der Weisung des Sultans gemäß auf den heute etwas abseits stehenden Diwan. Gedankenverloren sah sie zu, wie zwei Bauern wild gestikulierend aufeinander einredeten. Jeder der Männer behauptete, der Besitzer der Tiere zu sein.
Sie konnte nicht wissen, dass es sich Anadid
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