Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
solches wäre, würde ich mich unsichtbar machen oder davonfliegen oder Euren ganzen Hofstaat in Ameisen verwandeln oder …«
Mit einer herrischen Handbewegung brachte Werid die junge Frau zum Schweigen und wandte sich an den Alten zu seiner Seite.
»Sie ist vorlaut, nicht wahr, Inarad Gur Radem? Würdet Ihr jetzt mit der Beweisaufnahme beginnen, Ehrwürdiger Ratgeber?«
Der Gelehrte hörte endlich auf, seinen zipfeligen Bart glattzustreichen und trat nach vorn.
»Mein Gebieter, wie Ihr wisst, begleitete ich Prinz Anadid nach Nurripur am Morgen nach jenem schrecklichen Unglück. Erlaubt, dass Euer Sohn selbst berichtet, was wir dort vorfanden!«
Der Sultan nickte huldvoll. Janica hatte nicht bemerkt, dass der Prinz inzwischen den Audienzsaal betreten hatte. Sie zuckte zusammen, als er neben sie trat und sich tief vor seinem Vater verneigte. Das gehässige Grinsen, das dabei über sein Gesicht flog, sah nur sie allein. Als er sich wieder aufrichtete, war seine Miene wieder ernst und beherrscht.
»Mein Herr Vater, noch nie sah ich eine solch schreckliche Verwüstung! Unsere stolze Windjäger wurde in kleine Stücke zerfetzt, ebenso die Menschen, die sich auf dem Schiff befanden. Bitte erspart den Anwesenden die Schilderung des Zustandes der wenigen Leichen, die geborgen werden konnten! Mein geliebter Bruder Avid liegt jetzt in den Tiefen des Meeres und kann nicht einmal standesgemäß bestattet werden!«
»Und was, glaubt Ihr, hat dieses Unheil angerichtet?«
»Der Ehrwürdige Ratgeber ist mit mir einer Meinung, dass es weder in Wasserland noch auf dem Festland eine von Menschen gemachte Waffe oder Substanz geben dürfte, um eine solche Zerstörung anzurichten!« Das war geschickt formuliert. Inareds düsterer Blick streifte mit einer gewissen Anerkennung seinen Schüler.
»Dem muss ich zustimmen, mein Gebieter!«, sagte er bedächtig und deutete mit einer sparsamen Geste auf Janica. »Prinz Anadid hat einige Zeugen ausfindig gemacht, die belegen können, dass sich diese Frau ungewöhnlich benommen hat. Dürfen sie jetzt aussagen?«
Der Sultan lehnte sich zurück. »Natürlich! Ruft sie herein!«
Anadids Zeugen wurden hereingeführt und warfen sich zunächst einmal vor dem Herrscher auf den Boden. Janica schoss der absurde Gedanke durch den Kopf, dass sich des Sultans Putzfrau das Polieren des Marmors sparen konnte, wenn hier jeden Tag einige Dutzend Menschen auf den Fliesen des Bodens herumkrochen. Nachdem sich die Zeugen wieder erheben durften, betrachtete Janica diese Leute ratlos. Sie kannte weder die füllige Frau in den Gewändern einer Hausdienerin, noch den blassen Mann, der nervös seine Hände ineinander verschränkte. Einzig der Soldat kam ihr entfernt bekannt vor.
Anadid packte den Reisigen am Arm und zog ihn ein wenig nach vorn.
»Fangen wir mit dir an! Was hat die Zauberin mit dir gemacht?«
»Es ist mir peinlich!« Der Mann senkte den Blick und Janica konnte sehen, dass sich seine Wangen rötlich verfärbten.
»Du stehst vor deinem Sultan!«, herrschte Anadid ihn an.
»Sie hat … Also, wir holten die Frau auf Prinz Anadids Geheiß aus ihrem Harem. Auf dem Weg zum Kerker hat sie mir … also sie hat … Ich kann seitdem nicht mehr mit einer Frau …«, murmelte der Soldat.
»Entschuldigt das Gestammel dieses einfachen Mannes, Herr Vater!« Anadids Mundwinkel zuckten amüsiert. »Kurzum, die Zauberin hat sein Gemächt verhext. Er hat höllische Schmerzen und kann nicht mehr bei einem Weib liegen. Wenn Ihr möchtet, kann er sie Euch zeigen, die geschwollenen …«
»Ich glaube, das ist nicht nötig, mein Sohn!«, unterbrach Werid den Prinzen. »Gebt dem armen Mann für einige Tage frei und eine Zuteilung an Maulbeerwein!«
Der Soldat begriff, dass er gehen durfte und entfernte sich unter fortlaufenden Verbeugungen rückwärts. Janica sah ihm fassungslos nach. Sie hatte ihn jetzt erkannt. Er war der Waffenknecht, dem sie ihr Knie in die Hoden gerammt hatte. Sie wusste nicht, dass so etwas unter magische Handlungen fiel.
»Diese Frau hier hat gesehen und gehört, dass die Zauberin mit Tieren sprechen kann!« Anadid wies auf die Dienerin. »Wer mit Tieren spricht, kann auch Geister beschwören!«
»Ich spreche auch mit meinem Pferd!«, entgegnete der Sultan.
»Aber Euch antwortet das Pferd nicht! Der Vogel, mit dem diese Janica sprach, hat sich mit ihr richtig unterhalten, nicht wahr, Naria?« Der Prinz warf der Magd einen merkwürdigen Blick zu. Sie nickte hastig, schob ihren Schleier
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