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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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dieser dicken, schwarz umrandeten und absurd großen Brillen, die der ehemalige Staats- und Parteichef Jiang Zemin in Mode gebracht hatte und die zu seiner Zeit von jedem zweiten Kader getragen wurde. Jiang war seit fünf Jahren nicht mehr im Amt.
    Auf dem Schreibtisch standen ein Computerbildschirm, zwei Telefone und mehrere halb volle Aschenbecher. Lu las in einer Akte und blickte nur flüchtig auf.
    Â»Wu Xiao Hu?« Eine dunkle, einschüchternde Stimme.
    Â»Jawohl.«
    Lu deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

    Xiao Hu setzte sich.
    Der Funktionär klappte den Ordner zu und musterte seinen Besucher eine Weile, ohne etwas zu sagen. Tiefbraune, schmale Augen, die auf ihm ruhten, ein Blick, den Xiao Hu nicht einschätzen konnte.
    Nicht freundlich.
    Nicht feindlich.
    Einer, in dem sich Neugierde mit der kalten Selbstgewissheit der Mächtigen mischte. Je länger das Schweigen dauerte, desto unwohler fühlte sich Xiao Hu.
    Â»Wie lange sind Sie jetzt Mitglied der Partei?«, wollte der Mann wissen.
    Â»Zehn Jahre und neun Monate«, antworte Xiao Hu. Kein Wort zu viel. Nur auf das antworten, was er gefragt wurde.
    Â»Ich habe Ihre Kaderakte gelesen. Erstaunlich. Wir sind zufrieden mit Ihnen. Auf allen Lehrgängen gehören Sie zu den Besten. Ihre Analysen und Selbstkritiken sind von bestechender Klarheit. Respekt.«
    Â»Danke.«
    Â»Die Partei braucht Menschen wie Sie. Sie haben eine viel versprechende Zukunft vor sich.« Er machte eine Pause und zündete sich eine Zigarette an, ohne seinem Gast eine anzubieten. »Sie würden gern nach Beijing ins Justizministerium, habe ich gehört.«
    Xiao Hu nickte.
    Â»Warum nicht. Aber auch hier in der Stadt haben wir sehr interessante und einflussreiche Stellen zu besetzen«, sagte Lu, und über sein Gesicht flog ein Lächeln. »Im Mitarbeiterstab des Parteisekretärs von Shanghai suchen wir einen versierten Juristen. Wäre das nicht etwas für Sie?«
    Die Frage brachte ihn in Verlegenheit. Er war mit den schlimmsten Befürchtungen gekommen, er hatte ein unangenehmes
Gespräch erwartet, ein Verhör, eine eindringliche Warnung wegen des Verhaltens seiner Schwester, nun zog ihn Lu für eine der interessantesten Positionen in Betracht, die Xiao Hu sich in seinem Alter und mit seiner Qualifikation vorstellen konnte. War er für ein Bewerbungsgespräch in dieses Büro bestellt worden? Es musste eine Falle sein, dachte er. Eine Probe. Ein Spiel, dessen Regeln er im Augenblick nicht durchschaute. Er durfte sich keine Blöße geben, nichts sagen, was irgendjemand irgendwann gegen ihn verwenden könnte. Er hustete kurz. »Es ist eine große Ehre für mich, in diesem Zusammenhang auch nur erwähnt zu werden.«
    Lu schien zufrieden mit der Antwort, lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, blies nachdenklich Rauch in die Luft.
    Â»Gibt es in der Partei Dinge, die Ihnen missfallen?«, wollte er wissen. Als er Xiao Hus verwirrtes Gesicht sah, fügte er hinzu: »Mir kommt da einiges in den Sinn.«
    Für wie naiv hielt der Mensch ihn? Er hatte nicht zehn Jahre lang die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas studiert, um nun mit einer Liste von Missständen und Versäumnissen zu antworten. Auf diesen Trick waren zu viele Menschen vor ihm hereingefallen, hatten den Mut gehabt, Kritik zu äußern, und dafür mit vielen Jahren Arbeitslager gebüßt. Kurze Sätze. Neutrale Sätze. Keine Angriffsflächen bieten.
    Â»Die Partei regiert seit über fünfzig Jahren. Sie hat in schwierigen Zeiten Großes geleistet. Es ist unmöglich, dabei nicht auch Fehler zu begehen«, antwortete er ausweichend.
    Â»Zum Beispiel?«
    Xiao Hu überlegte kurz, was Staatschef Hu Jintao in den vergangenen Wochen und Monaten in seinen Reden an der eigenen Partei kritisiert hatte.

    Â»Der Weg zu einer harmonischen Gesellschaft ist noch lang und …«
    Â»Was heißt das konkret?«, unterbrach ihn Lu. »Sie strapazieren meine Geduld.«
    Xiao Hu fühlte, wie ihm heißer wurde, der Zigarettenqualm könnte jeden Moment einen Asthmaanfall auslösen. Er brauchte dringend frische Luft, wagte jedoch nicht, den Mann zu bitten, ein Fenster zu öffnen. Wo waren seine Vorsätze hin? Warum hatte er das Gefühl, immer kleiner zu werden? Niemand bedrohte ihn, trotzdem wuchs das Gefühl der Beklommenheit. Er wollte nicht über die Partei reden,

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