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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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mit jeder seiner Fragen und Bemerkungen weiter in die Enge getrieben, nun zeigte er ihm den Weg aus der Falle, das Tor stand weit offen. Xiao Hu rang nach Luft.
»Wir, das sind, wir, das ist, um genau zu sein: meine Schwester.«
    Lu reichte ihm drei Blatt Papier über den Schreibtisch: »Hat sie dieses Pamphlet im Internet verfasst?«
    Xiao Hu überflog die erste Seite. »Das weiß ich nicht.«
    Â»Was heißt, Sie wissen es nicht?«
    Â»Ich habe es noch nie zuvor gesehen«, erwiderte er kleinlaut. »Wie kommen Sie drauf, dass meine Schwester …«
    Â»Wer sonst?«, fauchte Lu. »Haben Sie davon gewusst?«
    Â»Nein.« Er war ein lausiger Lügner.
    Â»Sie beschuldigt den Chemiekonzern Sanlitun öffentlich. Sie verleumdet ihn. Sie bezichtigt die verantwortlichen Behörden und wirft ihnen schwere Versäumnisse vor.« Die Stimme wurde mit jedem Satz schärfer. »Sie klagt an und fordert einen öffentlichen Prozess. Sie widersetzt sich wissenschaftlichen Erkenntnissen.«
    Â»Wo ist meine Schwester?«, sagte Xiao Hu so leise, dass er die Frage zweimal wiederholen musste.
    Â»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Dafür kann ich Ihnen sehr genau sagen, was mit ihr geschehen wird, wenn Sie ihr nicht helfen. Sanlitun wird sie wegen Rufschädigung und Verleumdung verklagen. Das Unternehmen wird sehr hohe Regressansprüche stellen. Die zahlt Ihre Schwester bis an ihr Lebensende ab. Was immer sie besitzt, wird gepfändet. Die Violine zum Beispiel. Wollen Sie das?«
    Xiao Hu verspürte ein Zittern in den Händen und konnte kaum noch atmen. Er dachte an Yin-Yin. An das Quecksilber im Körper seiner Mutter. An ihre leeren Augen, die früher so zärtlich blicken konnten. Lu erwartete eine Antwort.
    Â»Nein«, flüsterte er.
    Â»Außerdem habe ich gehört, dass Ihr Vater sich mit dem Gedanken trägt, Sanlitun zu verklagen. Stimmt das?«
    Er nickte stumm. Leer vor Angst.
    Â»Was ist los in Ihrer Familie?«, brüllte Lu. »Die Polizei wird ihn zu Verhören abholen. Solche Gespräche können lange dauern. Stunden. Tage. Wochen. Wer wird sich in dieser Zeit um seine kranke Frau kümmern?«
    Xiao Hu wusste, dass dies die letzte Gelegenheit war, um Haltung zu zeigen. Er konnte widersprechen. Er konnte von den anderen Kranken erzählen. Von toten Katzen. Von den Laborergebnissen. Vom Journalisten Wang. Er war nicht in der Lage, nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen, und je länger er schwieg, desto deutlicher spürte er, wie der Moment des Widerspruchs verstrich. Wie ihm jemand oder etwas die Entscheidung abnahm, ohne dass er lange analysierte oder die Vor- und Nachteile gegeneinander abwog. Wie ihn plötzlich eine kalte Gelassenheit überkam, die sich in ihm ausbreitete. Xiao Hu hatte das Gefühl, sich für einen Moment aus seinem Körper zu schleichen und die Szene von oben zu betrachten. Alles rückte nach und nach in weite Ferne. Lu. Das ekelhaft verqualmte Büro. Seine Schwester. Das Dorf. Die Menschen. Als säße er im Fond eines Wagens, der sich entfernte. Er drehte sich um, schaute aus dem Rückfenster, sah Yin-Yin winken, neben ihr standen seine Eltern; Da Long blickte ernst, Min Fang weinte. Er sah sie kleiner und kleiner werden, bis sie irgendwann ganz verschwunden waren.
    Â»Ich kann es mir nur mit der Trauer erklären«, hörte er sich sagen.
    Â»Das passt nicht zu einem Parteimitglied mit Ihren Ambitionen.«
    Â»Ich weiß«, flüsterte jemand in ihm.
    Â»Bringen Sie das in Ordnung«, befahl Lu. »Reden Sie mit Ihrem Vater. Er hat einen Brief an Ihre Schwester zu schreiben.
Sie muss sich bei Sanlitun und allen Behörden, die sie angegriffen hat, entschuldigen. Es wäre bedauerlich, wenn Ihnen aus dem unverantwortlichen Verhalten Ihrer Familie Nachteile entstehen würden.«
    Lu stand auf, ging zum Regal, schaltete einen Wasserkocher ein, wartete, bis das Wasser erhitzt war, verteilte es auf zwei Becher mit Teeblättern, stellte einen wortlos vor Xiao Hu auf den Tisch und setzte sich wieder. »Ich habe«, erklärte er plötzlich in versöhnlichem Ton, »mit einigen Parteifreunden bei Sanlitun gesprochen. Das traurige Schicksal Ihrer Mutter hat alle sehr berührt, und sie haben beraten, wie sie helfen könnten. Das Unternehmen ist bereit, Ihren Eltern eine Summe von 50 000 RMB zu zahlen, um ihnen das Leben leichter zu machen. Eine

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