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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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auszusetzen. Eine Vorladung bei der Polizei hätte er eingesehen, eine ernsthafte Verwarnung durch die Sicherheitsbehörden, aber nicht mehr. Jetzt war sie in ein System geraten, von dem Xiao Hu aus dem Studium zumindest theoretisch wusste, dass sie der Staatsgewalt ausgeliefert war, und wie wenig Rechte sie als Verdächtige hatte. Mit Glück würden sie ihr irgendwann erlauben, einen Anwalt oder ihre Familie zu verständigen, aber bis dahin konnten Tage, vielleicht Wochen, im schlimmsten Fall Monate vergehen. Sie konnten sie in die Psychiatrie einweisen, und niemand würde protestieren, niemand sie verteidigen. Was hatte seine kleine Schwester verbrochen? Yin-Yin war keine Dissidentin. Sie war keine Regimekritikerin. Sie war eine ganz und gar unpolitische junge Frau, die ihre Mutter über alles liebte. Die andere davor warnen wollte, giftige Fische zu essen, toxisches Wasser zu trinken.
    Eigentlich, dachte er, müssten sie ihr dankbar sein. Auch wenn er das niemals laut sagen würde. Er ging zurück ins Büro, erledigte lustlos seine Arbeit und fuhr früh nach Hause.
    Am nächsten Morgen erhielt er um kurz nach acht Uhr einen Anruf aus der Shanghaier Zentrale der KP. Um 10 Uhr habe er dort zu sein. Lu Guohua, ein hochrangiger Funktionär aus dem Büro des Parteisekretärs von Shanghai, wolle ihn sprechen.
    Xiao Hu dachte mit Schrecken an das Angebot des Mannes aus Hunan. War er auf einen Lockvogel hereingefallen?
    Worum gehe es, wenn er fragen dürfe?
    Familienangelegenheiten. Dringende Familienangelegenheiten.
    Kein Strauch. Kein Brett. Keine Hand.

    Die Abteilung der Kommunistischen Partei, in die er bestellt worden war, befand sich in einem Bürogebäude in der Beijing Xi Lu, ein grauer, gesichtsloser Betonbau, auf dessen Dach eine große chinesische Fahne wehte. Junge Kader in schlecht sitzenden Anzügen gingen ein und aus, vor dem Haus standen wie früher Fahrräder zu Dutzenden ordentlich aufgereiht.
    Xiao Hu fragte am Empfang nach Lu Guohua. Zimmer 555.
    Der Flur im fünften Stock war ein langer, schlecht beleuchteter Schlauch, an dessen Ende Lus Büro lag. Die Türen links und rechts waren geschlossen, seine Schritte hallten so laut, als liefe er durch ein verlassenes Gebäude. Er hielt kurz inne, bevor er klopfte und eintrat. Atmete tief durch. Die halbe Nacht hatte er wach gelegen und versucht, sich auf dieses Gespräch vorzubereiten.
    Familienangelegenheiten, hatte die Frau am Telefon gesagt.
    Was mochte sich dahinter verbergen? Wartete seine Schwester in diesem Zimmer auf ihn? Möglich, aber unwahrscheinlich. Vorwürfe und Drohungen, wegen ihrer Aktion im Internet? Hatte sie in Verhören vielleicht behauptet, dass alles seine, Xiao Hus, Idee gewesen sei und sie nur tat, was ihr älterer Bruder anordnete? Er schämte sich für seine Gedanken. Oder ging es um seinen Vater? Xiao Hu war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen, egal, womit man ihn konfrontierte. Er wollte nach Yin-Yin fragen und Lu bitten, sich für sie einzusetzen. Das war er sich und seiner Schwester schuldig. Wovor sollte er Angst haben? Er besaß drei Wohnungen, war finanziell, zumindest für die kommenden Jahre, unabhängig und würde auch in der freien Wirtschaft ohne Probleme einen gut bezahlten Job finden. Er war
ein verdientes Mitglied der Partei und hatte nichts Unrechtes getan.
    Er klopfte zweimal und horchte.
    Â»Kommen Sie herein.«
    Der Raum war groß und hell, von seiner Schwester keine Spur. In einem Erker stand die Sitzgelegenheit für offizielle Besucher, eine mit rotem Samt gepolsterte Couch und zwei Sessel, auf deren Armlehnen weiße Schonbezüge lagen. An der Wand hing eine elegant geschwungene Kalligrafie: »Die Wahrheit in den Fakten suchen« - eine Devise, die Xiao Hu in Parteiaufsätzen mehrfach zitiert hatte. Sie stammte von Deng Xiaoping, andere schrieben sie Mao zu, angeblich hatte sich schon Konfuzius sinngemäß geäußert. Die Luft war unangenehm warm und verraucht, entweder funktionierte die Klimaanlage nicht, oder jemand liebte es zu schwitzen. Xiao Hu räusperte sich.
    Der Beamte, der ihn erwartete, saß am anderen Ende des Zimmers, Xiao Hu kannte ihn vom Sehen von einigen Parteiveranstaltungen, er war ein enger Mitarbeiter des ersten Parteisekretärs der Stadt. Ein kleiner, untersetzter Mann mit tiefen Falten auf der Stirn und einem dunkelbraunen Muttermal am Kinn. Er trug eine

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