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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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jemand versuchte hereinzukommen, und verkantete den Schreibtischstuhl unter der Klinke, dass sie nicht mehr zu bewegen war. Er wollte Christine anrufen und ihr alles erzählen, traute sich aber nicht. Wer wusste schon, ob nicht jemand mithörte. Stattdessen schrieb er ihr eine kurze Nachricht:
    Liebste,
wäre ich bloß bei dir. Sehnsucht tut weh.
Melde mich morgen ausführlich. Schlaft gut.
Pass auf euch auf,
in Liebe, Paul
    Er nahm zwei Kopfschmerztabletten, zog sich aus und schlief trotz der vielen Gedanken und der lauten Klimaanlage sofort ein.
    Â 
    Paul erwachte davon, dass jemand an der Tür rüttelte. Laut scheppernd fiel die Stehlampe zu Boden. Das Geräusch von
zerspringendem Glas. Einen Moment lang glaubte er zu träumen, dann wälzte er sich ruckartig zur Seite, knipste das Licht an und sprang auf.
    Â»Wer ist da?«, rief er aufgeregt.
    Â»Housekeeping«, hörte er eine dünne Frauenstimme.
    Er blickte auf die Uhr: 9.12.
    Â»Später. Kommen Sie später wieder«, antwortete Paul und sank zurück aufs Bett. Er hatte verschlafen. Um 9 Uhr wollte ihn ein Fahrer abholen, den Weidenfeller gestern Abend noch in seiner Firma organisiert hatte.
    Er ging ins Bad, duschte kurz, wobei er alle paar Sekunden den Kopf aus der Dusche steckte und einen Blick auf den Badezimmerspiegel warf. Der Dampf färbte ihn gleichmäßig weiß, ohne dass sich darauf Schriftzeichen abbildeten.
    Der Fahrer wartete vor dem Hotel, ein freundlicher junger Mann, der auf Pauls Bitte, nicht so zu rasen, mit einem verständnisvollen Nicken antwortete; vermutlich chauffierte er häufiger westliche Besucher und kannte ihre Ängste.
    Der Weg nach Yiwu erschien Paul an diesem Tag unerträglich lang. Die Stadt wollte kein Ende nehmen, der Verkehr war dicht, es dauerte fast zwei Stunden, bis sie die Ausläufer Shanghais hinter sich hatten. Er rief Wang, den Journalisten, an, der nur mit hektischen Satzfetzen antwortete. Sie verabredeten sich für den Abend in der Lobby des Grand New Era Hotel, in dem Wang ein Zimmer für ihn reservieren wollte.
    Als sie die Autobahn verließen, meldete er sich bei Da Long.
    Er vernahm eine erschöpfte Stimme, die sich aufhellte, als sie den Anrufer erkannte und hörte, dass der in einer guten halben Stunde bei ihm sein würde.
    Paul wollte sich auf das Wiedersehen mit Da Long konzentrieren, aber seine Gedanken entglitten ihm. Er wusste
nicht, was er sagen sollte. Er musste ihm von Yin-Yins Verhaftung erzählen und dem Angebot von Sanlitun. Er hatte keinen Rat und keinen Trost, nur die vage Hoffnung, dass möglicherweise Wang ihnen noch helfen könnte, wenn er sich auch nicht vorstellen konnte, wie. Auf den Tod seines Vaters wollte er Da Long nicht ansprechen. Das war eine Geschichte, die nur die Familie Wu anging.
    Â 
    Pauls Schritte wurden langsamer, je näher er dem Haus kam. Schweiß rann ihm den Nacken hinunter, auf der Stirn klebten Haarsträhnen; die Luft war zwar weniger stickig als in Shanghai, aber ebenso heiß. Zögernd öffnete er das schwere Holztor. Die Scharniere knarrten laut, für einen Moment übertönten sie das Rauschen der Autobahn, das metallene Geräusch tat ihm in den Ohren weh. Der Hof hing voller Wäsche, Handtücher, Stoffwindeln, Bettlaken und Bezüge, übersät mit braunen und gelben Flecken, die nicht mehr herauszuwaschen waren. Die Wassertropfen hatten den trockenen, staubigen Boden mit einem wirren Muster überzogen. Aus dem Haus klang ein Violinkonzert, Paul meinte Mozart zu erkennen.
    Da Long saß breitbeinig auf den Treppenstufen der Veranda, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, und rauchte. Er stand auf, kam ihm entgegen, rang sich ein kurzes, müdes Lächeln ab. Der Anblick des kleinen Mannes rührte Paul nicht anders als beim letzten Mal; er widerstand der Versuchung, ihn in den Arm zu nehmen und einfach nur festzuhalten.
    Â»Sch-sch-schön, dich zu sehen. Hast du schon gegessen?«, fragte er und wirkte dabei ebenso unbeholfen wie bei der Begegnung mit seiner Schwester.
    Â»Ja«, schwindelte Paul. Er wollte ihm keine zusätzliche Mühe machen.

    Â»N-n-na, ein bisschen Platz wird noch sein. Ich habe Nudeln von gestern, Gemüse und Tofu von heute Morgen.«
    Sie gingen in die dämmrige Wohnung, in der es nach Kot und Urin roch, strenger noch als bei seinem letzten Besuch. Am liebsten wäre Paul im Hof geblieben und hätte auf der Veranda

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