Drachenspiele - Roman
du dir aus.«
»Nein.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Astrologie?«
»Tue ich auch nicht.«
»Warum bist du dann bei ihm gewesen?«
»Zu deiner Beruhigung. Und zu meiner. Den Gedanken, dich neun Monate nicht zu sehen, habe ich nicht ertragen.«
Sie hatte gehofft, in seinen Augen, in seinen Zügen um den Mund eine Antwort zu finden. Sie misstraute ihm, ohne zu wissen, warum. »Hast du die Kassette? Ich möchte genau hören, was er gesagt hat.«
»Christine. Seit wann verhörst du mich? Er hat unmissverständlich gesagt, dass mir keine Gefahr droht, egal, mit wem ich die nächsten Monate verbringe. Genügt das nicht?«
Sie überlegte. »Was hat er dir über deine Vergangenheit gesagt?«
»Dass ich verheiratet war und geschieden bin. Dass meine Eltern nicht mehr leben. Dass ich einen Sohn hatte.«
Seine Stimme klang belegt und erschöpft. Er schluckte mehrfach und räusperte sich. Die lange Nase wirkte noch spitzer als sonst.
»Ich weià nicht, ob ich dir glauben soll.«
»Ruf ihn an.«
»Er würde mir kein Wort sagen.«
»Als wäre Vertrauen etwas für Dumme. Von wem stammt dieser Satz?«
»Paul! Mir ist es ernst.«
»Mir auch.«
Sie hatte keine Wahl, als ihm zu glauben, sie wusste es. Glauben schenken und hoffen. Es gab keine Alternative. Trotzdem sträubte sich etwas in ihr.
»Was bedeutet eigentlich das rote Band um dein Handgelenk?«
»Eine Idee von Meister Wong. Immer etwas Rotes am Körper tragen. Das soll mir noch mehr Glück in diesem Jahr bringen, und ich dachte, schaden wird es nicht.«
»Noch irgendwelche Ratschläge?«
»Er empfahl mir, Wasser zu meiden, was schwierig ist, wenn man auf einer Insel wohnt. Jade hilft mir. Rot beschützt mich. Die Drei bedroht mich. Reich werde ich im Jahr des Schweins nicht. Mehr ist meine Glückszahl.«
»Mehr?«
»Mehr. Wie: viel. Oft. Nicht genug. Nimmersatt.«
Er brachte sie häufiger zum Lachen als alle Männer vor ihm zusammen. Auch dafür liebte sie ihn.
Sein Bein wippte so heftig auf und ab, als gäbe es einen Morsecode durch.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte sie.
»Doch, warum?«
»Dein Bein.«
Er legte eine Hand aufs Knie und hielt es still. »Besser so?«
Sie sahen die letzte Fähre aus Hongkong um die Inselspitze biegen.
»Wenn wir uns jetzt beeilen, bekommst du sie noch«, sagte er und stand auf.
»Ich dachte, du rennst nicht, um Schiffe oder Busse zu kriegen.«
»Für dich mache ich heute eine Ausnahme.«
Sie lauschte dem Flüstern des Meeres. »Ich möchte bei dir bleiben.«
IV
Sie waren für 18 Uhr am Flugsteig verabredet. Es war knapp kalkuliert, zehn Minuten später würde das Gate schlieÃen, aber Christine hatte gesagt, sie könne unmöglich früher aus dem Büro weg. Sie hatte die China-Southern-Maschine um 18.30 Uhr gebucht, bereits Plätze reserviert und wollte direkt aus der Stadt zum Flughafen kommen.
Paul war fast zwei Stunden vor ihr dort; er schlenderte in Ruhe durch Chek Lap Kok, der auf ihn, wegen der vielen Etagen voller Geschäfte, Luxusboutiquen und Juwelierläden wie eine Einkaufspassage mit angeschlossenem Flughafen wirkte, trank einen Tee, kaufte Zeitungen, machte vor einem leeren Gate einige Atemübungen.
Die Uhr am Gate zeigte 17.50 Uhr. Der blauweiÃe Airbus 320 wartete am Flugsteig, Paul betrachtete das Flugzeug durch die groÃe Fensterscheibe so prüfend, als könne er aus der Entfernung eine Delle im Seitenruder, lockere Bolzen oder einen verhängnisvollen Riss in der Metallhaut erspähen. Er litt zwar nicht unter Flugangst, fragte sich aber immer wieder aufs Neue, warum er freiwillig mit zwei-, drei-, vierhundert ihm völlig fremden Menschen für Stunden in einer langen, schmalen Röhre saÃ, die weder von ihrer GröÃe noch ihrer Ausstattung her dafür geeignet war, so viele Passagiere für so lange Zeit zu beherbergen.
18.09 Uhr. Er war der vorletzte Passagier, der noch nicht eingestiegen war, ein Steward blickte fragend zu ihm herüber, als Christine den Gang entlanggehetzt kam. Sie entschuldigte sich, er bemerkte die leichten Schatten unter ihren Augen, das durch den Schweià zerlaufene Make-up.
Reihe neun, ein gutes Zeichen, schoss es ihm durch den Kopf. In der Ablage über den Sitzen war kein Platz mehr für
ihr Handgepäck. Er hasste Flugzeuge,
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