Drachenspiele - Roman

mich recherchierte«, erklärte er in einem Ton, als müssten seine Gäste nun wissen, worauf er mit dieser Geschichte hinauswollte.
    Yin-Yin und Paul schauten ihn fragend an.
    Â»Ich hatte auch ein Auto. Und eine Frau«, fuhr er fort. In seiner Stimme lag kein Selbstmitleid. »Bis ich mich bereit erklärte, drei Familien zu verteidigen, denen ihr Land weggenommen
wurde, weil dort eine Neubausiedlung entstehen sollte. Arme Bauern, die eines Tages in meinem Büro standen. Ein einfacher Fall. Die Enteignung verstieß so offensichtlich gegen die Gesetze unserer Volksrepublik, dass ich überzeugt war, den Menschen helfen zu können. Aber ich kannte unsere Gegner nicht gut genug. Immer ein verheerender Fehler, ganz besonders in unserem Land. Die andere Seite hatte Verbindungen bis hinauf in die Parteispitze der Provinz. Wir hatten keine Chance«, erklärte Gao und klang noch immer nicht, als ob er sich beklagen wollte. »Waren Sie in China schon einmal in einen Prozess involviert?«
    Â»Nein«, antworteten Paul und Yin-Yin wie aus einem Mund.
    Â»Kennen Sie sich mit unserem Rechtssystem aus?«
    Â»Ein wenig«, log Yin-Yin, die in ihrem Leben noch nie etwas mit Staatsanwälten oder Richtern zu tun gehabt hatte.
    Gao seufzte kurz. »Dann fasse ich das Wichtigste in einem Satz zusammen: Die Partei steht über dem Gesetz.«
    Â»Ich weiß, ich weiß«, antwortete Paul ungeduldig. »Aber was bedeutet das heute noch?«
    Â»Das Gleiche wie gestern. Und vorgestern. Richter sind nicht unabhängig. Das Urteil spricht eine Kommission, in der spielen Parteikader eine entscheidende Rolle. Es ist anders als im Westen«, erklärte er, an Paul gewandt. »Auch die Anwälte sind nicht so unabhängig wie bei Ihnen. Bei uns vergeben die Justizbehörden die Anwaltslizenzen - und ziehen sie auch wieder ein. Das macht Anwälte nicht unbedingt mutiger. Meine haben sie mir wieder genommen, als ich in der Geschichte keine Ruhe gab und an den Obersten Gerichtshof in Beijing appellieren wollte. Seitdem kann ich nur noch Rechtsberatung anbieten, aber niemanden vor Gericht vertreten. Was übrigens in diesem Fall Ihr Glück ist.«

    Â»Wie meinen Sie das?«, fragte Paul verdutzt.
    Â»Weil ich sonst die Behörden von unserem Gespräch benachrichtigen müsste. Eine Anweisung an alle Anwälte in der Provinz Zhejiang. Alles, was mit Sanlitun zu tun hat, muss gemeldet werden. Wer war in der Kanzlei? Was wollte er? Worüber wurde gesprochen?«
    Â»Warum?«
    Â»Ich weiß es nicht. Möglicherweise sind Sie nicht die Einzigen, die einen Grund zur Klage haben.«
    Â»Woher wissen Sie von der Anweisung?«
    Â»Von einem befreundeten Kollegen.«
    Yin-Yin und Paul schwiegen nachdenklich.
    Â»Vergessen Sie nicht, woher wir kommen«, sagte der Anwalt. »Das Konzept einer unabhängigen Justiz spielt im chinesischen Denken und in unserer Geschichte keine so große Rolle wie bei Ihnen im Westen. Vor fünfundzwanzig Jahren gab es in diesem Land kein Rechtssystem. Keine Anwälte, keine Notare, kein Jurastudium an den Universitäten. Kaum niedergeschriebene Gesetze. Ein paar tausend Richter ohne jede juristische Ausbildung. Heute haben wir zweihunderttausend von ihnen und über vierhundert juristische Fakultäten. Die Prüfungen für Richter und Anwälte sind so streng, dass nur zehn Prozent der Bewerber sie bestehen. Gehen Sie in eine Buchhandlung, und Sie finden Regale voller Wälzer mit Gesetzestexten, Bücher zum Steuerrecht, Mietrecht, Strafrecht. Selbst Ratgeber für Menschen, die den Anwalt sparen wollen, gibt es. So gesehen, haben wir große Fortschritte gemacht, auch wenn Ihnen das jetzt nicht hilft.« Gao zog an seiner Zigarette und musterte sie: »Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin fest davon überzeugt, dass Ihnen großes Unrecht zugefügt worden ist und dass Sie sich selbstverständlich dagegen wehren können. Sie müssen sich aber darüber
im Klaren sein, dass Sie dafür einen Preis zahlen werden. Niemand kann Ihnen im Voraus sagen, wie hoch der sein wird. Das hängt von vielen Umständen ab, und diese Unsicherheit ist Teil des Systems. Rechnen Sie mit dem höchsten Preis und fragen Sie sich, ob es Ihnen das wert ist.«
    Yin-Yin nippte an ihrem Tee, das warme Glas in ihrer Hand tat gut. Der höchste Preis? Was könnte das sein? Früher hatte sie einen häufig wiederkehrenden