Drachenspiele - Roman
nicht einmal inspiziert werden.«
»Woher weiÃt du das?«
»Von meinem Kollegen aus Hubei. Wir haben strenge Gesetze zum Umweltschutz, eine Behörde, die die Einhaltung
überwachen soll, alles prima, alles super, nur, was nützt das, wenn jeder, der gute Kontakte hat, Ausnahmegenehmigungen bekommt. Mein Freund hat behauptet, es gäbe noch in drei weiteren Provinzen Probleme mit Sanlitun-Anlagen. Von einem Kollegen in der Hauptstadtredaktion habe ich gehört, dass Peopleâs Daily angeblich mehrere Dutzend Leserbriefe bekommen hat, die sich über den Konzern beklagen. Aber das sind alles Gerüchte. Da ich nicht recherchieren darf, kann ich auch nicht prüfen, ob sie wahr sind oder nur Verleumdungen.«
»Könnten wir mit Ihrem Kollegen in Hubei mal reden?«, erkundigte sich Paul vorsichtig.
»Der redet mit niemandem mehr. Der ist nach Beijing in die Zentrale versetzt worden. Er arbeitet jetzt im Keller. Im Archiv.«
»Kennen Sie hier einen Anwalt, der sich um die Geschichte kümmern würde?«
»In Yiwu? Sehr unwahrscheinlich.« Er blickte Paul prüfend an. »Sind Sie sicher, dass Sie sich darum kümmern wollen?«
Auch Yin-Yin wandte sich Paul zu. In seinem ernsten Gesicht sah sie nicht die grimmige Entschlossenheit, die sie erwartet hatte. Sie sah weiche Züge um den Mund. Sie sah tiefblaue Augen, in denen mehr als nur der Schatten eines Zweifels lag.
»Nein«, antwortete er zögernd. »Das bin ich nicht. Yin-Yins Vater ist verständlicherweise sehr empört und überlegt, ob er versucht, die Firma zu verklagen. Ich, wir, wollten ihm nur helfen, einen Anwalt zu finden. Mehr nicht.«
Wang überlegte, holte aus seiner Tasche einen Stift, nahm eine Serviette, schrieb zwei Telefonnummern und zwei Namen darauf.
»Der erste ist ein älterer Rechtsanwalt in Yiwu, der andere einer in Shanghai. Jeder auf seine Art ein schräger Typ, einer von beiden kann euch vielleicht weiterhelfen. Aber kein Wort darüber, woher ihr diese Nummern habt, zu niemandem, versprochen?« Er schaute auf die Uhr. »Verdammt, ich muss dringend zurück in die Redaktion.«
Er nahm sein Handy, legte die Batterie wieder ein, schaltete es an. »Vergesst nicht: Immer den Akku rausnehmen.«
»Warum?«, fragte Yin-Yin, obwohl ihr klar war, dass die Frage ihre ganze Naivität verriet.
»Weil sie mit den Dingern nicht nur in der Lage sind, jedes Gespräch zu belauschen, sondern sie auch per Funk anstellen können.«
»Wer?«
»Wer mich abhört? All die eifersüchtigen Männer, deren Frauen ich vögele«, rief er so laut, dass die Köche ihr Kartenspiel unterbrachen und die Kellnerinnen sich neugierig nach ihm umdrehten. Er erwiderte die Blicke mit einem spöttischen Lachen, verabschiedete sich von Paul und Yin-Yin mit einem Augenzwinkern, verlieà das Restaurant und war binnen Sekunden im Strom der Passanten untergetaucht.
Paul lächelte sie an, sie las die Namen auf der Serviette und schob ihm das Papier zu. Gao Jintao hieà der Anwalt in Yiwu.
»Soll ich anrufen?«
»Ich weià nicht«, antwortete sie unsicher.
Er stellte sein Mobiltelefon wieder an, doch der Akku war leer, sie gab ihm ihres, und er wählte die Nummer in Yiwu. Die Verbindung war schlecht, es rauschte und knackte, irgendwann brach sie ganz zusammen. Beim zweiten Versuch verstand er den Anwalt besser. Er hatte keine Termine frei. Paul erzählte in wenigen Sätzen von einer kranken Frau, von
falschen Diagnosen und verschmutzten Gewässern. Gao unterbrach ihn und sagte, dass er heute Abend keine Zeit mehr habe, sie könnten jedoch morgen früh um neun Uhr in sein Büro kommen und dort alles Weitere besprechen.
Paul schaute Yin-Yin fragend an, sie war nicht in der Lage, ihm zu antworten. Er vereinbarte den Termin und legte auf. »Einverstanden?«
Sie nickte, froh, dass er ihr die Entscheidung abgenommen hatte.
»Wir nehmen uns zwei Zimmer im Grand Emperor Hotel, gehen morgen zu ihm und fahren anschlieÃend nach Shanghai. Was hältst du davon?«
»Es gibt auch billigere Hotels in der Stadt.«
»Ich lade dich ein, das ist schon in Ordnung. So teuer ist es nicht.«
Â
Yin-Yin ging mit einem unguten Gefühl ins Bett und erwachte mitten in der Nacht von einem Laut, den sie nicht einzuordnen vermochte. Es klang wie das vorsichtige Ãffnen einer Schublade oder einer Schranktür. Im
Weitere Kostenlose Bücher