Drachensturm
darüber war, dass ihm Qupay in seinem Übereifer diesen Auftrag eingebrockt hatte, so wollte er doch unter keinen Umständen, dass ihm ein Übel widerfuhr. Er verbeugte sich tief, auch um seine Gefühle zu verbergen, dann lief er schnell aus der Heiligen Kammer.
» Wohin, Chaski?«, fragte ihn der gedrungene Läufer, während er an den Wartenden vorüberhastete, aber Kemaq antwortete nicht. Als er den Platz vor dem Tempel betrat, zeigten sich die Spitzen der Berge im Osten bereits vergoldet. Der Hohepriester verlangte beinahe Unmögliches. Er hatte nur zwei Tage und musste die ganze Strecke, die sich doch sonst ein Dutzend Chaski teilten, selbst laufen, und das sowohl hin wie auch zurück. Das mochte angehen, wenn alles glattlief, aber es war doch ungewiss, was er dort unten vorfinden würde. Wenn gekämpft wurde, geriet er vielleicht mitten in eine Schlacht. Sein Bruder Jatunaq hatte ihm erzählt, dass im Krieg der Tod an jeder Biegung des Weges warten konnte, und die Straße hinunter zur Küste war voller Biegungen. Kemaq verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf und lief schneller.
2 . Tag
Mila lief durch den langen Gang zur großen Kammer. Die Sonne war aufgegangen, und selbst der besorgte Dietmar hatte eingesehen, dass jeder Feind, der in ihre Festung eingedrungen war, sie inzwischen wieder verlassen haben musste. Doch er hatte Schaden angerichtet, fürchterlichen Schaden. Mila musste mit den Tränen kämpfen. Sie benutzte ihren langen Stab nur gelegentlich, denn sie kannte den Gang und nahm einfach in Kauf, dass ihr ein neues Hindernis im Weg liegen mochte. Sie hastete voran, als könne sie, wenn sie nur schnell genug liefe, das Unglück ungeschehen machen. Sie hörte Männer durch die Gänge poltern – Männer, die nun zum zweiten oder dritten Mal jeden Winkel des Palastes durchsuchten. Auch draußen durchkämmten die Waffenknechte jede Ecke der Festung, ohne dass sie bisher einen Erfolg melden konnten. Mila hörte die gepresste Stimme ihres Großonkels und blieb vor dem Eingang zur großen Kammer stehen, um sich zu sammeln, denn sie wollte nicht vor all den Männern, die dort zusammengekommen waren, in Tränen ausbrechen. Sie atmete tief ein, dann betrat sie den Raum.
Das Raunen der versammelten Ritter verebbte. Mila blieb notgedrungen wieder stehen, denn in einem Raum voller Menschen, einem Dutzend etwa, war es schwer für sie einzuschätzen, wer sich wo aufhielt, und sie wollte nicht aus unpassendem und nutzlosem Ungestüm über irgendjemanden stolpern. Den Hochmeister hatte sie schon sprechen hören, er stand offenbar am Ende der Kammer. Die lebhafte Stimme von Lorenzo di Collalto, dem Marschall und dritten Großmeister des Ordens, klang ihr ebenfalls von dort im Ohr. Graf Tassilo stand beim Marschall, außerdem waren noch vier andere Ritter in der Kammer, und sie hörte auch das Flüstern der drei Schildknappen, Anwärter auf den Sattel eines Drachen. Schließlich aber spürte Mila die Anwesenheit des Todes. Er war unter ihnen, dort, in der Mitte der Kammer, hatte Besitz ergriffen von einem jungen, kraftstrotzenden Körper, hatte ein strahlendes Leben viel zu früh beendet.
» Ist es wirklich wahr?«, fragte sie. » Ist es Don Rodrigo?«
» Es ist leider wahr, Mila«, sagte der Hochmeister mit belegter Stimme.
» Der Tod hat einen unserer Besten geholt, Comtesse«, bestätigte die Stimme di Collaltos düster.
Mila spürte, wie die Männer zur Seite wichen, als sie an die Bahre trat. Sie streckte die Hand aus und berührte den kalten Harnisch. » Wie konnte das geschehen?«, fragte sie hilflos.
» Einer der Indios muss sich innerhalb der Festung versteckt haben, oder er kam vielleicht über die Mauer, auch wenn das schwer vorstellbar ist«, erklärte Marschall di Collalto. » Offenbar überraschte er Don Rodrigo oben auf der Mauer und stieß ihn hinab. Jedenfalls hat der Kl… hat Junker Konrad einen Schatten dort gesehen.«
Mila runzelte die Stirn. Der Kleine Graf, hätte der Marschall beinahe gesagt. Damit war Konrad von Wolfegg gemeint. Der jüngste Bruder Balians begleitete den Orden als Schildknappe. Mila mochte ihn noch weniger als seinen plumpen Bruder.
» Er war sich aber nicht sicher, und daraus ergibt sich eben noch eine andere Möglichkeit«, sagte der Hochmeister langsam.
» Ihr meint einen Sturz? Ein Unglück? Schwer vorstellbar, Maximilian, schwer vorstellbar«, entgegnete der Marschall aufgebracht.
» Einen Kampf gab es jedenfalls nicht, denn den hätte Konrad und doch wohl
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