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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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quälst. Ich weiß, wo sie sitzt, und werde meinen Weg zu ihr auch im Dunkeln finden.«
    » Soll ich dich begleiten, Milena?«
    » Nein, die Frau wirkt auf mich nicht sehr bedrohlich, und ich will sie nicht verschrecken.«
    Nabu brummte, was Zweifel oder Zustimmung bedeuten konnte, aber dann hörte Mila, dass er sich auf den Boden legte und die großen Flügel zusammenfaltete.
    Mila nahm ihren Stab, legte zur Sicherheit die Hand auf den geheimen Mechanismus, der die Klinge herausspringen ließ, und ging mit möglichst sicheren Schritten hinüber zu der alten Frau am Tor.
    » Du bist blind, oder?«, begrüßte sie eine brüchige Stimme.
    Mila war überrascht über diese unhöfliche Begrüßung. » Und du bist alt und sitzt dort auf der Schwelle«, entgegnete sie, wie um zu beweisen, dass sie eben nicht völlig blind war.
    » Nur ein Weilchen, dann gehe ich weiter. Ich weiß nur noch nicht, ob durch die Stadt oder um sie herum«, sagte die Alte.
    » Sie zu umgehen, wäre ein Umweg«, erwiderte Mila, die beschloss, sich auf diese seltsame Unterhaltung einzulassen.
    » Aber die Straßen zwischen diesen Mauern sind leer, und sie atmen Unglück. Merkst du das nicht, Fremde?«
    » So ist es in allen Siedlungen, seit wir die Berge überwunden haben.«
    » Es ist wegen euch, das weißt du, oder?«
    » Ich weiß es«, entgegnete Mila. » Doch weiß ich nicht, warum es so ist. Fürchtet ihr uns so sehr?«
    Die Alte lachte heiser. » Das ist eine dumme Frage, selbst für ein blindes Mädchen. Natürlich haben wir Angst vor euch, oder sagen wir, die anderen haben Angst vor euch.«
    » Du offenbar nicht, Mutter.«
    » Nein, ich nicht. Ich bin alt. Was soll ich noch fürchten? Ich habe keine Angst vor euch, keine Angst vor den Wesen, die mit euch kommen, und schon gar keine Angst vor Atahualpa, der uns befohlen hat, die Städte zu verlassen.«
    » Euer Herrscher hat also befohlen, die Städte zu verlassen? Warum verteidigt ihr sie nicht?«, rutschte es Mila heraus.
    Wieder lachte die Alte. Dann sagte sie: » Das wissen nur die Priester. Es stimmt schon, Inti ist ein mächtiger Gott, und auch du solltest seine Macht spüren, gerade jetzt, da sein Licht auf deiner blassen Haut ruht.«
    » Aber du vertraust nicht auf ihn?«, fragte Mila interessiert. So jemand wie diese Alte war ihr in diesem fremden Land noch nicht untergekommen.
    » Meine Vorfahren beteten zu anderen Göttern, und ich denke, ich werde zu ihrem Glauben zurückkehren, so wie ich auch zu den Häusern zurückkehre, die ich als kleines Mädchen verlassen musste.«
    » Du bist ganz allein unterwegs, Mutter?«
    » Nein, meine ganze Gemeinschaft, sogar meine ganze Stadt, ist auf der Straße, doch laufen unsere Füße in unterschiedliche Richtungen. Ich bin zu alt, um dahin zu gehen, wo andere mich hinschicken wollen, ich will meinen Pfad selbst wählen.«
    » Ich hoffe, du hast es nicht mehr weit, Mutter«, sagte Mila höflich.
    » Es wäre nicht weit, wenn ich fliegen könnte, wie dieses Wesen, das mich an die Geschichten von Tamachoc erinnert. Ich kann verstehen, dass viele es für einen Gott halten, doch besonders mächtig kann es nicht sein.«
    » Wie kommst du darauf?«
    » Es sieht erschöpft aus, dieses Wesen, und es hat dich getragen wie ein Lama seine Last. Du aber bist blind, also sicher auch kein Gott, was immer Kemaq auch von dir halten mag.«
    » Wer ist Kemaq? Und wer ist Tamachoc?«, fragte Mila, die über die zwingende Logik in den Worten der Indio-Frau lächeln musste. Sie war aber froh, dass offenbar nicht alle Indios so schlau waren wie diese etwas verrückt wirkende Alte.
    » Kemaq hat dich gesehen. Dein gelbes Haar hat es ihm angetan, und er war davon so geblendet, dass er lange nicht gemerkt hat, dass du selbst blind bist, Fremde. Und Tamachoc, nun, wenn man dieses Wesen dort drüben liegen sieht, jetzt, wo seine Flügel an den Leib gezogen sind, dann kann man schon denken, dass es die Regenschlange ist. Aber ich glaube das nicht. Ich habe gehört, es gäbe mehr als eines seiner Art, aber Tamachoc gibt es nur einmal.«
    » Ist es der, den sie auch Pachakamaq nennen, Mutter?«, fragte Mila und versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. Es schien ihr, als sei sie auf etwas Wichtiges gestoßen.
    Die Alte brummte leise, als müsse sie über ihre Worte lange nachdenken. » Nein«, sagte sie schließlich und erhob sich plötzlich ächzend. » Doch ich habe genug gerastet, und mein Weg ist noch weit. Ich werde weiterziehen. Und dir kann ich nur raten,

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