Drachensturm
umzukehren, Fremde. Ich glaube, du bist nicht von böser Art, und hier oben ist es gefährlich.«
» Aber ich würde gerne noch mehr über Tamachoc erfahren«, rief Mila.
» Ich habe schon zu viel gesagt. Niemand redet heute noch über ihn, da will ich nicht von ihm anfangen. Ich wünsche dir einen guten Tag, dir und diesem Wesen, das so müde aussieht.«
» Ich danke dir, Mutter. Aber bitte, sagst du mir wenigstens deinen Namen noch, wenn du mir schon nichts über die Regenschlange sagen willst?«
Die Alte schnaubte. » Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Ich bin Mocto. Und nun entschuldige mich. Nach Tanyamarka ist es noch weit.«
Kemaq lief. In der Abenddämmerung zeichneten sich einige langgezogene Hügel ab, und er sollte von ihren breiten Rücken Ausschau halten, wie weit Caxamalca noch entfernt lag. Die Hügel waren nicht weit, und Kemaq fragte sich, warum sie nicht einfach bis dorthin marschierten, aber offenbar waren die Krieger zu müde und brauchten eine Rast. Sie verspeisten die Vorräte, die ihnen die Bauern des letzten Dorfes hatten abtreten müssen. Kemaq hatte viel Feindseligkeit, aber noch mehr Ergebenheit und Angst gespürt, als er den Befehl überbracht hatte. Jetzt lief er wieder. Die ersten Schritte war er regelrecht gerannt, als gelte es, einen Wettlauf zu gewinnen. Das war zwar Prahlerei gewesen, aber er hatte gelernt, dass es manchmal angebracht war, andere mit sinnlosen Handlungen zu beeindrucken. Die Krieger hielten nicht viel von den Läufern, was das Kämpfen betraf, und es war eine Gelegenheit, ihnen zu zeigen, was ein Chaski vermochte. Sobald er aber außer Sicht war, schlug er eine Geschwindigkeit an, die er zur Not die ganze Nacht durchhalten konnte. Wenigstens gab ihm das Gelegenheit zum Nachdenken.
Der Weg war gut ausgebaut, gepflastert, besser als alle Straßen, die er je unter den Füßen gehabt hatte. Er stieß auf eine breite Steinbrücke und fragte sich, ob sie von Marachuna gebaut worden war. Die Steinleute waren berühmt als Steinmetze und Baumeister, auch wenn sie in Tikalaq ein Leben als Bauern führen mussten. Als er die Brücke überquerte, fragte er sich, wie weit Tanyamarka entfernt liegen mochte. Er hatte Mocto gefragt, aber die war den Weg nur als kleines Kind gelaufen und konnte sich nicht an die Entfernung erinnern. Vielleicht würde er es bald selbst herausfinden. Die Worte des alten Chachapoya kamen ihm wieder in den Sinn. Pitumi erwartete, dass er nach Tanyamarka ging. Würde sie selbst auch dort sein? In den Bergen jenseits der Regenstadt begann das alte Land der Chachapoya. Es war geheimnisumwittert und gefürchtet, wie die Menschen, die einst dort gelebt hatten. Doch wenn die Wolkenmenschen so mächtig waren, wie hatten die Inka sie dann besiegen können?
Sein Weg führte ihn kurz darauf zwischen zwei Seen hindurch auf die Hügelkette zu, und Kemaq verließ die Straße und kletterte einen der Hügel hinauf. Er gelangte oben an, lief weiter und prallte erschrocken zurück. Vor ihm fiel das, was hinter ihm ein sanfter Hügel war, in einer steilen Felswand tief hinab, und dort öffnete sich ein großes Tal, das von einem Fluss geteilt und nach Norden hin immer breiter wurde. In der Ferne schimmerte etwas Helles schwach im Mondlicht, was vielleicht die Mauern von Caxamalca sein mochten. Kein Feuer brannte dort, und Kemaq hätte die Stadt beinahe nicht gesehen, denn sein Blick wurde von einer Vielzahl von Lichtpunkten angezogen, die etwas abseits der Stadt lagen. Das musste das Heerlager Atahualpas sein. Es bedeckte mehrere Hügel. Es war riesig.
Die Feuer wiesen Nabu den Weg, aber obwohl Mila ihn darum bat, zeigte er ihr nicht, was er sah. » Es ist finstere Nacht, Prinzessin, sogar für die, die sehen können. Aber da die Spanier vermutlich die einzigen Menschen sind, die wir in diesem verlassenen Land in der Nähe der Straße finden werden, bin ich sicher, dass ich dort die Lagerfeuer Pizarros sehe.«
Kurz darauf erklang der Ruf eines Drachen, und Nabu antwortete. » Einige meiner Brüder sind ebenfalls dort.«
Bald konnte Mila die Drachen an ihren Rufen unterscheiden. Marduk war dort, Behemoth und Ianus ebenfalls, und Nergal begrüßte sie mit einem feindseligen Zischen. Von Schamasch hörte sie nichts. Vermutlich, so dachte sie, war er wieder unterwegs. Es war die Aufgabe des Ordens, die Verbindung mit Chan Chan und auch mit Almagro zu halten, der mit weiteren Männern aus dem Norden heranmarschiert kam. Es hatte, noch bevor Mila aufgebrochen
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