Drachensturm
Leute nach und nach in Sicherheit bringen, Don Francisco«, drängte der Hochmeister.
Nabu wandte sich dem Konquistador zu, und so konnte Mila ihn durch Nabus Augen zum ersten Mal aus der Nähe sehen, wenn auch nur als bleiche Flammenerscheinung. Er war groß und erschien ihr älter, als sie ihn sich anhand seiner Stimme vorgestellt hatte. Seine Haltung drückte für einen winzigen Moment Zweifel aus, aber dann versteifte er sich und sagte: » Ein Rückzug kommt nicht in Frage.«
Das Bild flackerte hell auf und erlosch. Mila seufzte.
Don Francisco verstand den Seufzer falsch: » Ihr solltet mich nicht für uneinsichtig halten, nur weil ich viel von meinen Leuten verlange, Condesa Milena. Ich weiß aber, dass jeder Schritt, den wir heute zurückweichen, in Zukunft nur mit viel spanischem Blut wieder zurückgewonnen werden kann.«
» Was habt Ihr also vor, Don Francisco?«, fragte Mila schlicht.
» Ich werde abwarten, was sich dort drüben tut, und dann erst entscheiden. Aber glaubt mir, Condesa, es wird heute nicht auf die Zahl ankommen, nicht in diesen engen Straßen, in denen den Indios ihre schöne Schlachtordnung nichts nützen wird.«
Er sprach sehr laut, so dass ihn auch seine Kanoniere hörten, und er bemühte sich, Zuversicht zu verbreiten, aber Mila spürte deutlich, wie viel Kraft ihn das kostete.
Das Heer wälzte sich in breiter Front den Hügel hinab. Die Krieger marschierten nicht schnell, denn das Gelände war schwierig, und es schien den Befehlshabern mehr darum zu gehen, die Ordnung zu wahren, als rasch voranzukommen. Noch nie hatte Kemaq etwas Vergleichbares gesehen. Die Sonne war lange aufgegangen, und die Waffen und der Gold- und Silberschmuck der Krieger blitzten und strahlten in ihrem Licht. Es war leicht zu glauben, dass Inti sie mit Wohlwollen begleitete. Kemaq hatte das Gefühl, dass er der Einzige war, der unter einer dunklen Wolke marschierte. Inzwischen war er sich beinahe sicher: Melap hatte Huaxamac getäuscht, und er hatte damit schon einmal vielen guten Männern den Tod gebracht. Kemaq biss sich auf die Lippen. Sie waren unheimlich, diese Wolkenmenschen, undurchsichtig wie die Nebel, nach denen sie benannt waren. Wie viele Krieger hatten sie schon für ihre Ziele geopfert? Ziele, die sie mit seiner Hilfe erreichen wollten, die sie ihm aber nicht enthüllten. Jetzt marschierte er mit dem Heer auf Caxamalca los, die Stadt, die jedem, der sie betrat, den Tod brachte, so hatte es Melap gesagt. War das das Gleiche, was er auch Huaxamac erzählt hatte? Er musste mit dem Hohepriester reden und ihn warnen. Doch das war leichter gesagt als getan, denn Huaxamac hatte sich den federgeschmückten Helm aufgesetzt, ein leuchtend gelbes Gewand übergestreift und gefiel sich in seiner Rolle als unnahbarer Diener Intis. Er hatte einen Platz unter den anderen wichtigen Priestern des Reiches eingenommen, und dorthin durfte ein einfacher Chaski nicht gehen, wenn es ihm nicht befohlen wurde. Kemaq hatte es vor dem Aufbruch versucht, aber Huaxamac war mit wichtigen Riten beschäftigt gewesen und hatte ihn nicht sehen wollen.
Beide Flügel des Heeres hatten nun die Ebene erreicht. Kemaq wandte sich um. Auf dem Hügel war eine starke Abteilung zurückgeblieben. Er nahm das als gutes Zeichen, denn offenbar blieb der Sapay Inka vorsichtig. Wie gerne wäre er einfach zu ihm gelaufen und hätte ihn gewarnt, aber man würde ihn vermutlich töten, noch bevor er den Mund aufmachen konnte. Kemaq schluckte Staub, den abertausende Krieger aufwirbelten. Sein Platz war in den hinteren Reihen, bei den Dienern und Mägden – jenen, die mitmarschierten, um den Wünschen des Herrschers zu dienen. Aber auch hier herrschte strenge Zucht, und Kemaq durfte die Schar nicht verlassen. Was sollte er nur tun? Plötzlich durchzuckte Kemaq ein Geistesblitz – sein Bruder! Er konnte es seinem Bruder sagen. Und der würde es seinem Hohepriester erzählen. Qupay war bei einer Abteilung Krieger ganz in der Nähe, um ihnen als Priester Intis Mut zuzusprechen, falls es zur Schlacht kommen sollte. Und wenn Kemaq das entschlossen vorrückende Heer betrachtete, hatte er keine Zweifel mehr, dass ein Kampf bevorstand. Doch wo steckte sein Bruder jetzt? Er hatte ihn im dichten Staub aus dem Auge verloren. Plötzlich schallte ein Muschelhorn über die Reihen, andere antworteten, Befehle wurden gebrüllt, und dann, wie ein Mann, blieb das Heer stehen.
» Sie haben angehalten, oder?«, fragte Mila.
» Das haben sie, aber woher weißt du
Weitere Kostenlose Bücher