Drachensturm
abzuhacken, damit sie keine Gefahr mehr darstellen? Er erwartet doch, dass er in Tanyamarka große Reichtümer findet, und er wird über Leichen gehen, um sie zu bekommen, das weiß ich jetzt. Und die Männer, die bei ihm sind, sind keinen Deut besser.«
» Ja, es ist bemerkenswert, nicht wahr?«, meinte Nabu. » Sie haben jetzt schon mehr Reichtümer angehäuft, als sie sich je träumen ließen, aber mit einem Mal scheint das nicht mehr zu genügen.«
» Du nimmst das ja sehr gelassen«, stellte Mila verstimmt fest.
» Es wird nicht besser, wenn ich es mir so zu Herzen gehen lasse wie gewisse andere Leute, Prinzessin. Schweres Herz fliegt nicht gut, wie wir Drachen sagen.«
» Das hast du dir gerade ausgedacht, oder?«, fragte Mila lächelnd. Sie waren in den Tagen nach dem Massaker nicht geflogen. Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr ihr das gefehlt hatte.
Nabu flog eine kunstvolle Schleife. » Schon möglich«, gab er zu.
» Aber Nabu, ich fürchte wirklich, dass sich nun anderenorts das wiederholen wird, was wir in Caxamalca erlebt haben. Diese Indios sind den Männern der Pizarros nicht gewachsen, weil ihre Waffen so primitiv sind. Ich ahne, dass wir geradewegs zu einem neuen Blutbad unterwegs sind, Nabu. Und wir sind es, die den Konquistadoren den Weg dahin zeigen.«
Der Drache brummte nachdenklich, dann sagte er: » Ich weiß, was du meinst, Mila, aber wir können es nicht ändern.«
Aber Mila fragte sich, ob das stimmte.
Sie überquerten einige Berge, und Mila sah, dass der Boden in den Hochtälern eingeteilt war in hellere und dunklere Flächen. Es waren offensichtlich Felder. » Hier muss irgendwo eine größere Siedlung sein, Nabu. Ich sehe viele Felder.«
» Ist mir auch aufgefallen«, brummte der Drache.
Zunächst war aber nichts von einer Stadt zu bemerken. Sie überflogen weitere Bergkuppen, die das Hochland gar nicht besonders weit überragten, doch ihre Kopfschmerzen erinnerten Mila daran, durch welche Höhen sie in Wirklichkeit flogen. Nabu zog dicht über die baumbewachsenen Hänge dahin, bog in ein Seitental ein und stieß einen überraschten Laut aus. » Ah, endlich! Sieh, da vorn das sieht aus wie eine Stadt.«
Das Flammenbild war undeutlich. Mila versuchte, sich zu konzentrieren. Zunächst war es nur ein großer Fleck im regelmäßigen Muster der Felder, aber dann, als sie näher kamen, erkannte sie eine hohe Mauer und viele Häuser.
» Könnte das Tanyamarka sein?«, fragte Nabu und flog näher heran.
» Die Indios sagen, es sei die einzige größere Siedlung jenseits des Flusses, abgesehen von einigen alten Festungen, die auf dem Rücken der Berge liegen sollen«, antwortete Mila. » Sie muss es also sein.«
Nabu ließ seine Flügel vom Wind blähen, so dass sie fast auf der Stelle schwebten. Er brummte. » Diese Bergrücken können wir nicht sehen, Prinzessin, denn so hoch trägt uns der Wind jetzt nicht.«
» Sie sollen ohnehin verlassen sein, Nabu«, erklärte Mila. Sie sagte nicht, dass es Festungen der Wolkenmenschen waren, der Chachapoya. Diese Indio-Frau, Pitumi, hatte sie vor den Bergen der Chachapoya gewarnt. Offenbar flogen sie aber gerade darauf zu.
Kemaq musste sich eingestehen, dass ihm die Stadt gefiel. Sie war nicht besonders groß, kleiner als Tikalaq und viel kleiner als Caxamalca. Zweitausend Menschen mochten hier leben, die meisten von ihnen Marachuna. Es war das erste Mal, dass er in einer Siedlung war, in der die Menschen seines Volkes die Mehrheit stellten. Die Häuser waren durchweg aus Stein, nicht aus Lehm, die Straßen waren eng, und die ringsum hoch aufragenden Berge gaben ihm das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Er schüttelte den Kopf. Er war alles andere als in Sicherheit, wenn er Rumi-Nahui die schlechte Nachricht überbrachte. Als er den Platz überquerte, entdeckte er ein bekanntes Gesicht. » Pitumi!«, rief er erstaunt.
Sie unterhielt sich mit einigen älteren Männern. Die meisten von ihnen waren Marachuna, Steinleute so wie er, aber zwei waren Chachapoya. Die Alten sahen ihm erwartungsvoll entgegen, als er zögernd hinüberlief.
» Ich habe mich schon gefragt, wie lange du dich noch dem Ruf widersetzen willst, Chaski«, begrüßte ihn Pitumi. Dann wandte sie sich an die Umstehenden und sagte: » Das ist der Läufer, von dem ich euch erzählt habe.«
Sofort spürte Kemaq viele neugierige Blicke auf sich. » Was hast du ihnen denn erzählt?«, fragte er leise.
Pitumi lächelte und sagte: » Ich habe ihnen von dem Marachuna berichtet, der
Weitere Kostenlose Bücher