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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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trat er fehl und konnte erst im letzten Augenblick sein Gleichgewicht zurückgewinnen, sonst wäre er in die Tiefe gestürzt. Bald war ihm klar, dass es hier nicht um Geschwindigkeit, sondern um Ausdauer ging. Aber er lief um sein Leben, die Yunga nicht, und das war sein Vorteil. Schließlich fielen sie, einer nach dem anderen, weiter zurück. Die Pfeile flogen seltener, denn die Schützen verloren ihn aus ihrer Reichweite. Dann gaben die ersten auf, schließlich auch die letzten. Er hatte sie abgehängt.
    Kemaq lief etwas langsamer. Sein Herz pochte, und seine Lungen brannten, aber er hatte sie abgeschüttelt. Er öffnete das Päckchen, das Pitumi ihm am Tor gegeben hatte – Kuka-Paste! Er packte sie wieder weg. Erst, wenn es nicht anders ging, würde er darauf zurückgreifen. Der Pfad war schmal und nur nachlässig ausgebaut. Noch war es zwar hell, aber die Dämmerung hatte schon eingesetzt, und er musste auf seine Schritte achten. Bald hatte sein Atem sich beruhigt, sein Schritt war schnell und gleichmäßig, und Kemaq spürte, dass er noch stundenlang so weiterlaufen konnte. Ein seltsames Hochgefühl bemächtigte sich seiner: Er würde Rumi-Nahui und seine Krieger überholen und dann ebenso leicht abschütteln wie die Yunga. Niemand konnte ihn aufhalten.
    Das Geräusch war leise, so leise, dass er es erst im letzten Augenblick hörte. Es kam von hinten, wie ein leiser Wind. Kemaq blickte über die Schulter und unterdrückte einen Entsetzensschrei – ein Ankay Yaya! Der Gott glitt beinahe lautlos durch die Luft, und nur das leise Rauschen seiner Flügel hatte ihn verraten. Jetzt legte er sich leicht auf die Seite, denn der Berghang stieg über dem Pfad steil auf, und er musste auf seine Flügel achtgeben. Die blonde Fremde saß auf seinem Rücken, den weißen Speer in der Hand. Die mächtigen Klauen spreizten sich – und Kemaq warf sich auf den felsigen Boden. Der Yaya rauschte vorüber und ließ ein enttäuschtes Knurren hören, als seine Klauen ins Leere griffen. Kemaq sprang auf und rannte. Die Sonne ging gerade unter, und er fragte sich, wie gut die fliegenden Götter wohl in der Dunkelheit sehen konnten. In einiger Entfernung durchschnitt der Pfad einen Felsengrat. Er lief schneller. Der Berg war auf seiner Seite, denn der Weg war viel zu schmal, als dass der Yaya hätte landen können. Sein Knie schmerzte. Es war die alte Verletzung, die er sich wegen des falschen Chimú-Chaski zugezogen hatte. Er rannte schneller, bis das Brausen wieder nah herangekommen war. Dann hielt er an, drehte sich um und warf sich gegen die Laufrichtung zu Boden. Der Ankay Yaya ließ einen überraschten Laut hören, als seine Klauen wieder nur ins Leere schnappten. Steine polterten den Hang hinab – offensichtlich hatte sein Flügel den Berg gestreift, und Kemaq hörte, dass der Gott schwer atmete, fast so wie er selbst.
    Er sprang auf. Der Durchbruch war nicht mehr weit entfernt. Erst als er fast dort war, wurde ihm mit Schrecken bewusst, dass dieser kurze Tunnel kein Schutz, sondern eine Todesfalle war: Sein Jäger hatte, warum auch immer, bislang darauf verzichtet, seine tödlichste Waffe, seinen Feueratem, einzusetzen; versteckte Kemaq sich aber in dem Felsengang, mochte der Gott es sich anders überlegen. Er würde gebraten werden wie in einem Ofen. Kemaq rannte trotzdem weiter, einfach, weil seine Beine jetzt nicht mehr stehen bleiben wollten.
    Nabu schwenkte wieder auf eine enge Kurve ein. » Vor ihm liegt eine Art kurzer Tunnel, Prinzessin«, keuchte er, » wenn er auf die Idee kommt, sich darin zu verstecken, muss ich ihn ausräuchern.«
    » Du willst ihn mit Feuer hinausjagen?«, fragte Mila. Nabu antwortete ihr nicht, er war völlig außer Atem, und sie begriff, dass er das nicht gemeint hatte. Sie fragte sich, warum ihr Onkel den Boten für eine so große Gefahr hielt. Was konnte er schon tun? Sie hatten die Stadt eingenommen, und mit ihren Waffen und dem Drachenorden an ihrer Seite waren die Spanier in der Lage, jedem Angriff zu trotzen. Wir sind unbesiegbar, dachte sie, aber der Gedanke war kein Trost. Aus einem unbestimmbaren Grund hatte sie das Gefühl, dass sie gerade dabei waren, etwas zu tun, das vollkommen falsch war – ja, etwas sagte ihr, dass es vielleicht besser wäre, den Indio laufen zu lassen – aber ihr Befehl war eindeutig. Sie lauschte auf Nabus rasselnden Atem. Er hatte sich bei seinen bisherigen Versuchen schon sehr verausgabt, und der Läufer hatte sich als außerordentlich geschickt erwiesen

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