Drachensturm
Ein helles Sirren durchschnitt die Luft, und vor ihm wurde ein Mann getroffen und geriet ins Taumeln. Wieder sirrte es, und wieder stürzte ein Krieger. Kemaq hatte das Geräusch schon gehört, am Fluss, wo ihn das graugrüne Ungetüm gejagt hatte. Jatunaq hatte ihm das schwere Geschoss damals gezeigt. Jatunaq … Kemaq biss die Zähne zusammen und lief schneller. Der Drache rührte sich immer noch nicht, die blonde Fremde rief ihm etwas zu. Die Krieger aus Tanyamarka würden gleich die Mauer erreichen – sollte es ihnen etwa gelingen, den Feind zu überwältigen?
Unvermittelt flammte das Bild in Milas Kopf auf. Sie war nicht aus dem Sattel gestiegen, weil sie bereit sein wollte, aber mit einem Ausfall der Indios hätte sie nie gerechnet. Jetzt sah sie diese Männer, die todesmutig aus der Stadt stürmten – helle Flammen, die überraschend schnell näher kamen. Die Spanier feuerten mit Armbrüsten, und das Krachen der beiden Arkebusen hatte die Schreie der Angreifer übertönt. Die Yunga wollten offensichtlich abwarten, was geschehen würde, denn sie blieben vorerst in ihrer Deckung. Nabu holte tief Luft. Mila klammerte sich an den Zügeln fest. Sie wusste, was nun folgen würde. Nabus Kopf schnellte nach vorn, und dann verschmolz das Bild zu einer blendend hellen Feuerwand. Mila hielt den Atem an. Fast wie von selbst ließ ihre Hand die Klinge aus ihrem Stab springen. Die Flammenwand schwand, und Mila sah die unsicher zitternden Flammen, als die sich die Angreifer nun zeigten. Sie zögerten. Und jetzt sprangen die Yunga mit Geheul aus der Deckung und stürzten sich auf den Feind. Nabu holte Luft, aber dann spie er doch kein Feuer mehr. Mila begriff, dass er nicht mehr eingreifen konnte, denn die wirbelnden Flammen vor dem Inneren Auge zeigten ihr, dass der Nahkampf begonnen hatte. Doch eine leuchtende Gestalt, ein einzelner Krieger, war den anderen aus der Stadt erst mit Abstand gefolgt und trug weder Schild noch Speer, und Mila erahnte, dass es dieser einzelne Indio war, auf den es ankam. » Der Mann dort, Nabu!«, rief sie.
Kemaq wurde langsamer. Der Alte mit den zwei Speeren drehte sich zu ihm um. » Lauf weiter, Chaski!«, brüllte er. Aus den Augenwinkeln sah Kemaq, dass der Yaya tief einatmete, aber dann doch kein Feuer spie. Kemaq begriff, dass die Yunga inzwischen zu dicht bei den Marachuna waren. Der Drachen hätte seine eigenen Leute erwischt! Vor Kemaq entbrannte das Handgemenge. Er sah eine Lücke im Getümmel und rannte hindurch. Zwei feindliche Krieger erspähten ihn und hielten auf ihn zu, er schlug einen Haken, was dazu führte, dass er genau auf die Steinmauer zulief, hinter der die Fremden immer noch den Kampf beobachteten. Er sah sie mit ihren Waffen hantieren, und ein rotgesichtiger junger Mann brüllte: » Fuego!«
Kemaq warf sich zu Boden, und Pitumis Päckchen glitt ihm aus der Hand. Es krachte nicht, aber zweimal zischte ein helles Sirren über ihn hinweg. Hinter ihm stöhnte ein Mann gequält auf. Kemaq nahm sich nicht die Zeit, herauszufinden, ob es Freund oder Feind getroffen hatte, er griff sich das Päckchen, sprang auf, schlug einen Haken und rannte weiter. Jetzt knallte eines der Donnerrohre, und Kemaq spürte, dass etwas dicht an ihm vorübersauste. Er war schon an der Mauer. Die Fremden hielten ihre langen Speere über die Mauer des Lama-Pferchs und stachen nach ihm, aber er schlug wieder einen Haken und sah plötzlich einen gewaltigen blaugrauen Leib vor sich. Er erstarrte, der Yaya blickte ihn an, aber plötzlich wich er zur Seite. Kemaq hörte den Befehlshaber noch einmal sein » Fuego!« brüllen, hörte es krachen und sirren und stellte erstaunt fest, dass sie ihn wieder verfehlt hatten, während der Gott wütend aufbrüllte. Das löste seine Erstarrung. Er rannte, schneller als je in seinem Leben. Dann hörte er die Rufe der Verfolger. Er blickte über die Schulter. Der Kampf schien vorbei zu sein, und es gab keine Zweifel, wer gewonnen hatte. Nur eine Handvoll Marachuna flohen zurück zur Stadt. Aber auch hinter ihm waren Männer, und es waren nicht die schwerfälligen Fremden in ihren schweren Rüstungen, sondern Yunga, die ihre Speere und Bogen schwangen und ihm nachjagten. Er sah nach vorn. Das schmale Tal endete. Rechts sprang ein Gebirgsbach in einen Abgrund, links zeigte sich ein schmaler Pfad, der den Berg hinauf führte. Kemaq hatte die Straße erreicht.
» Da entwischt uns einer«, rief der Leutnant.
» Das ist kein Grund, auf mich zu schießen, Mann!«, rief
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