Drachensturm
beschleunigte, und sofort meldete sich der pochende Schmerz in seinem Knie wieder. Wenn der Sturz nicht gewesen wäre … Er griff nach einem Kuka-Blatt, steckte es sich in den Mund und nahm seinen langsamen Trab wieder auf.
In einiger Entfernung zeichnete sich eine dunkle Gestalt am Wegesrand ab. Vielleicht ein verendetes Lama oder ein toter Hund. In der flirrenden Luft konnte er das nicht genau erkennen. Die Neugier gab ihm Kraft, vielleicht war es auch das Gefühl, ein erreichbares Ziel vor sich zu sehen, und er lief eine Winzigkeit schneller. Als er näher herankam, sah er, dass es ein Mensch war, der dort lag. Kurz darauf erkannte er die gedrungene Gestalt des Chimú. Kemaq lief langsam näher heran. Was sollte er tun? Er war ratlos. Der brennende Zorn, den er nach dem feigen Angriff zunächst verspürt hatte, war weg, dahingeschmolzen in der Hitze der Wüste. Der Chimú bewegte sich! Mit Verwunderung beobachtete Kemaq, dass der Mann über den Boden kroch, auf allen vieren weiter dem Pfad folgte. Kemaq hatte das Gefühl, irgendetwas unternehmen zu müssen, aber keine Ahnung, was das sein sollte. Dann sah er seinen Trinkbeutel, der schlaff in der Faust des Mannes lag. Hass stieg in Kemaq auf, und er dachte daran, sich zurückzuholen, was der Chimú ihm geraubt hatte. Dieser sah nicht aus, als ob er sich noch wehren könne. Kemaq war jetzt fast bei dem Mann, der sich umwandte und aufstöhnte. Furchtbar sah er aus, staubbedeckt, das Gesicht eine aufgequollene Maske des Schmerzes. Der Chimú stöhnte etwas, das Kemaq nicht verstand, aber er beschloss, den Mann einfach sich selbst zu überlassen. Er konnte bei einem Streit doch auch nicht mehr als einen leeren Beutel gewinnen, aber viel verlieren. Darum sah er nur stumm, ohne den Chimú noch eines Blickes zu würdigen, nach vorn, wo das Grün der Bäume lockte, und lief hinkend weiter. Der Chimú krächzte ihm etwas hinterher, aber er achtete nicht darauf. Er hatte ihn in den Bergen gewarnt, dass er zu schnell lief, mehr konnte ein Läufer einem anderen kaum sagen.
Die Bäume kamen näher. Kemaq vermeinte, schon den Fluss hören zu können. Die Straße schlug einen leichten Bogen. Das würde seine Ankunft am Wasser verzögern, aber Kemaq folgte ihr trotzdem. Der Gedanke an ein Bad im kühlen Fluss war verlockend. Er beschloss, es so lange hinauszuschieben, wie seine Beine und sein pochendes Knie es noch ertrugen, denn er war sich nicht mehr sicher, ob er überhaupt wieder würde loslaufen können, wenn er erst einmal stehen geblieben war. Endlich waren die Bäume greifbar nahe. Zwischen Schilf und Gebüsch tauchte das Dach eines Botenhauses auf. Es war halb zerstört. Kemaq hatte über die Begegnung mit dem Chimú verdrängt, dass die Chaskiwasi in der Ebene alle zerstört und die Läufer tot waren. Jetzt war er zu müde, um wieder auszuweichen, seine Beine folgten der Straße, und er fand den Willen nicht, sie auf einen anderen Weg zu lenken. Das Buschwerk trat zurück. Es war verbrannt, und die Mauern des Hauses waren schwarz versengt. Zwei verkohlte Körper lagen davor. Kemaq wurde immer langsamer und blieb schließlich, ohne dass er es zunächst bemerkte, einfach stehen.
Endlich verstand Mila, was ihren Onkel beschäftigte: Es war die Frage, ob es in diesem Land Drachen gab! Schon in Panama hatten sie Geschichten von einer gefiederten Schlange gehört, einem Gott, den die Azteken unter dem Namen Quetzalcoatl verehrten. Auch die Indios, die Pizarro von seiner ersten Fahrt in diese Länder mitgebracht hatte, hatten eine gefiederte Schlange erwähnt, die sie Viracocha nannten. Nun gab es also mit Pachakamaq einen weiteren Namen.
» Viracocha und Pachakamaq, oder wie sie sonst heißen mögen, das sind nur heidnische Götternamen«, meinte der Tressler, » so wie in der Alten Welt Jupiter und Zeus. Wir haben nichts von ihnen zu befürchten. Oder hat einer von Euch gehört, dass Cortez in Mexiko je dem großen Quetzalcoatl begegnet ist?«
» Aber hier mag die Sache anders liegen«, widersprach Marschall di Collalto. » Meister Albrecht hält es für möglich, dass es auch in diesem Teil der Welt Drachen geben könnte. Und es ist einleuchtend, denn warum sollte es diese Art nur in den bekannten Erdteilen geben, hier aber nicht?«
» Es gibt hier auch keine Pferde, aber dafür Lamas, die wir wieder nicht kannten, Lorenzo«, widersprach Graf Tassilo.
» Wir sind keine Tiere, Tassilo!«, zischte Marduk durch die Decke und erinnerte die Ritter so an seine Anwesenheit
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