Drachensturm
auf dem Dach.
» So seid ihr Drachen mit dem Alchemisten einer Meinung?«, fragte der Tressler kalt zurück.
Mila meinte zu spüren, dass die Ritter in der Kammer bei dieser Frage förmlich zusammenzuckten. Die Drachen machten aus ihrer tiefen Abneigung gegen die Alchemie und ihre Jünger keinen Hehl, und sie wollten nichts mit dem Gelehrten zu tun haben.
Marduk schnaubte. » Das hat nichts mit diesem Mann zu tun!«, rief er so dröhnend laut, dass Staub von der Decke rieselte.
Der Hochmeister räusperte sich: » Genug davon. Wir wissen es eben einfach nicht. Die Menschen hier scheinen in unseren Drachen zwar einen Gott wiederzuerkennen, doch sollte es hier wirklich einen leibhaftigen Drachen geben, so werden wir uns über seine Macht und Größe Gedanken machen, wenn wir ihm begegnen.«
Vom Dach tönte das zustimmende Schnauben Marduks. Fremde Drachen! Mila verstand, dass diese Möglichkeit die Drachen in Unruhe versetzte. In der Alten Welt waren schon seit Jahrhunderten alle Drachen bekannt, und in den letzten hundert Jahren, als die Feuerwaffen aufgekommen waren, waren es sehr schnell sehr wenige geworden. Jetzt gab es nur noch die dreizehn, die diese Stadt erobert hatten. Mila fand die Aussicht aufregend, in diesem Land vielleicht neue Drachen zu finden, und sie konnte sich gut vorstellen, dass die Drachen das ähnlich sahen. Nur ungern gestand sie sich ein, dass fremde Drachen auch eine große Gefahr bedeuten konnten – für die Drachen des Ordens, und für alle, die mit ihnen in dieses Land gekommen waren.
» Und Pizarro wird wirklich erst in zwei Tagen hier eintreffen?«, fragte Sir William Lysle jetzt.
» Die Flaute ist vorüber, aber der Wind kommt jetzt aus Süden, und das hält wie gesagt die Flotte auf«, erklärte der Hochmeister. » Wir können wohl nicht vor übermorgen Abend mit ihnen rechnen, es sei denn, der Wind dreht.«
Mila nahm an, dass einer der Späher diese Meldung gebracht hatte, aber sie wusste nicht, wer damit beauftragt gewesen war, die Flotte zu suchen, und wann derjenige zurückgekehrt war. Offenbar hatte sie, als sie mit ihren Gedanken bei den Drachen der Neuen Welt gewesen war, etwas Wichtiges verpasst.
» Zwei Tage?«, fragte Sir William. » Hoffen wir, dass die Indios uns bis dahin keine Schwierigkeiten machen.«
» Sie haben es bisher nicht versucht, ich würde ihnen raten, es auch in Zukunft nicht zu versuchen«, meinte Robert de Lanois.
» Was hat denn die Befragung dieses Gefangenen ergeben?«, fragte Don Mancebo, aber Ritter Balian fiel ihm lautstark ins Wort: » Eine andere dringende Frage bedarf doch wohl zuallererst noch der Klärung, Ihr Herren!«
Es wurde schlagartig still im Saal. Offenbar wussten die Ritter – im Gegensatz zu Mila –, worauf der Graf von Wolfegg anspielte.
» Aber Balian, Don Rodrigo ist doch noch nicht einmal beerdigt«, sagte der Conte di Collalto langsam.
» Dennoch! Der Drachensattel ist nicht besetzt, und wir sind im Feindesland. Wir sollten einen Nachfolger berufen. So schnell wie möglich«, fuhr Graf Balian ungerührt fort. Mila fand es unfassbar. Don Rodrigo war noch keinen halben Tag tot, und der Ritter überlegte schon, wer ihm nachfolgen sollte.
» Ihr habt es sehr eilig, Balian«, entgegnete der Hochmeister und klang angewidert.
» Und er hat Recht«, stimmte Graf Tassilo seinem Neffen zu. » Wir befinden uns im Krieg, Maximilian, und die Statuten des Ordens sagen eindeutig, dass im Kriegsfall ein vakanter Sattel umgehend zu besetzen ist.«
» Wir könnten auch noch die zwei Tage warten, bis Pizarro hier ist«, meinte Sir William. » Er hat viele gute Männer, einige sogar von Adel. Das erscheint mir vernünftiger, als die Zügel von Nabu in die Hände eines dieser unreifen Knaben zu legen.«
» Unsinn«, rief der Tressler zur Verwunderung Milas, denn sie hatte den Grafen immer für einen der Freunde Pizarros gehalten.
» Sie haben alles Recht darauf«, ereiferte sich Ritter Balian.
Endlich begriff Mila, woher der Wind wehte. Einer der drei Schildknappen war Balians jüngerer Bruder Konrad. Und beide waren sie Verwandte – Neffen – des Tresslers. » Konrad ist der älteste unter den Schildknappen«, rief Balian von Wolfegg. » Er hat somit das älteste Recht!«
Mila fand den Gedanken entsetzlich. Konrad war stets der Anführer der Knappen gewesen, wenn es um Streiche ging. Aber konnte sie Balian seinen Familiensinn wirklich vorwerfen? Schließlich hatte auch sie es ihrem Onkel und ihrem Vater zu verdanken, dass sie
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