Drachensturm
Beine hätte er sich brechen müssen«, hatte der Tressler gesagt und damit wieder angezweifelt, was sein Neffe gesehen und Mila indirekt bestätigt hatte. Der Tod Don Rodrigos blieb rätselhaft, und irgendetwas – eigentlich alles – an der Geschichte gefiel Mila nicht. Die Ritter spekulierten, dass der Indio ein Spion gewesen sein musste, aber irgendwie fand sie das nicht so recht einleuchtend. Sie hörte Schritte auf dem Gang. Ein Ritter, vermutlich Don Mancebo. Sie rückte schnell ihre weiße Augenbinde zurecht. Da klopfte es auch schon an der Wand – eine Tür gab es nicht –, und es war wirklich der Maure, der anbot, Mila zur Versammlung zu geleiten. Mila willigte gerne ein.
» Wie geht es Euch und Eurem Drachen, Don Mancebo?«, fragte Mila, als sie am Arm des Mauren den Gang entlangging. Alter Gewohnheit folgend ließ sie ihren langen Stab über den Boden gleiten.
» Mir geht es gut, Condesa«, antwortete der Ritter mit einem Lächeln in der Stimme. Dann wurde er ernst. » Ianus ist jedoch, wie die anderen Drachen, bestürzt über die Ereignisse, soweit sich das bei einem Drachen sagen lässt. Ihr wisst, Condesa, dass sie sich selten anmerken lassen, was in ihnen vorgeht.«
» Sie scheinen mir überhaupt in eigenartiger Stimmung zu sein, Don Mancebo. Ich dachte zuerst, sie freuten sich über den Sieg, aber ich glaube, es ist etwas anderes.«
» Ja, dieses fremde Land scheint sie mit Unruhe zu erfüllen, aber ich glaube, sie wissen selbst noch nicht, weshalb, oder sie wollen es uns noch nicht verraten. Doch wir sind an der Kammer, Condesa«, beendete der Maure seine nachdenklichen Ausführungen.
Sie betraten die große Kammer, und Mila brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Es schienen alle Ritter anwesend zu sein. Sie hörte auch die hellen Stimmen der drei Schildknappen und dachte mit leichtem Unbehagen daran, dass ihr Platz vermutlich an deren Seite war. Alle drei waren sie vorlaut und immer bereit, ihr ohne Rücksicht auf ihr Leiden einen Streich zu spielen. Konrad von Wolfegg tat sich dabei stets besonders hervor, und nicht immer hatten ihre scharfen Sinne sie rechtzeitig gewarnt. Sie dankte Don Mancebo für die Begleitung und suchte sich ihren Platz. Ihre scharfen Ohren fingen die Stimme des Tresslers auf, der dem Hochmeister Vorhaltungen machte. Er flüsterte, aber Mila musste sich nicht einmal anstrengen, um herauszuhören, dass es um sie ging. Der Tressler hielt ihre Anwesenheit für » unangebracht«, wie sie es vermutet hatte. Es war Marschall di Collalto, der gelassen darauf verwies, dass die Condesa eben auch eine Schildmaid des Ordens und somit zur Anwesenheit im Rat sogar verpflichtet, wenn auch ohne Stimmrecht war. Mila unterdrückte ein Lächeln. Schildmaid klang großartig, aber es bedeutete wenig, und sie war es auch nur geworden, weil der Tressler in seinem Geiz darauf bestanden hatte, dass der Orden nur für seine Ritter, Schildknappen und Waffenknechte die Reise finanzierte. Wir haben dem Orden schon so viel gegeben, dachte Mila und hatte dabei vor allem die Krankheit im Sinn, die ihr und ihrem Vater das Augenlicht geraubt hatte, aber das interessierte den Tressler offensichtlich nicht. Aus eigener Tasche hätte ihre Familie die Reise kaum bezahlen können, also hatte ihr Vater sie kurzerhand als Schildmaid empfohlen, denn dieses Recht stand ihm als ehemaligem Drachenritter zu. Der Tressler hatte versucht, die Aufnahme » eines Weibes« zu verhindern, da es angeblich gegen die Statuten verstieß. Nun war aber der Drachenorden beinahe so alt wie die Drachen selbst, und in den schier endlosen Tiefen seiner Archive hatte der listige Conte di Collalto zwei Präzedenzfälle gefunden – den einer gewissen Richeza, später Königin von Polen, und den der heiligen Martha von Tarascon –, die, sehr zum Ärger des Tresslers, beide auf Mila anwendbar waren. Milas Lächeln erstarb. Dieser ganze Vorgang war, trotz des Erfolges, höchst unerfreulich gewesen, und obwohl ihr niemand etwas darüber sagen wollte, vermutete sie die Ursache für diese Schwierigkeiten in einer unausgesprochenen Fehde, die der Tressler aus irgendeinem Grund mit ihrem Großonkel auszufechten schien.
Mila versuchte herauszuhören, ob wirklich alle Ritter anwesend waren, und wer sich zu wem gesellt hatte. Das war eine schwierige Aufgabe, denn wenn einer der Männer nichts sagte und nur still dastand, sie ihn also nicht hörte, dann konnte er ebenso gut gar nicht da sein. So brauchte sie einige Zeit, um
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