Drachensturm
zusammenballten: Schamasch und Sir William waren tot, das war das Schlimmste. Die Indios wussten dadurch, dass die neuen Herren der Stadt nicht unsterblich waren, das konnte gefährlich werden, und dass Fray Celso derart unter Druck gesetzt wurde, verhieß ganz sicher auch nichts Gutes. Sie blieb stehen. Bislang hatten die Dominikaner um Valverde die Autorität des Ordens geachtet, auch wenn sie von Drachen nicht allzu viel hielten. Warum war das jetzt anders? Wenn sie den Fray angriffen, der nicht nur ihr Beichtvater, sondern auch der des Ordenshochmeisters war, dann war das eine Herausforderung – nein, es war sogar ein Angriff auf den Hochmeister selbst! Mila ging schneller. Sie musste mit ihrem Onkel reden. Die Depeschen! Sir William sollte doch Depeschen nach Caxamalca bringen! Der Fray hatte es gesagt. Jetzt musste jemand anders diesen Auftrag übernehmen, jemand, der vertrauenswürdig war, und zwar am besten noch heute. Und die Botschaft musste auch schnellstmöglich zum kaiserlichen Schatzmeister gelangen, der jedoch in Chan Chan geblieben war. Aber würde Nabu bereit sein, Schamaschs Leichnam zu verlassen? Die Drachen wollten ihn beim nächsten Sonnenaufgang in ihrem Feuer verbrennen. Konnten sie so lange warten?
Auf dem Weg zum Palast fiel ihr plötzlich ein Geruch von Schwefel auf, der sich unter den allgegenwärtigen Brandgeruch mischte, und dann hörte sie auch schon, wie ihr der Alchemist entgegeneilte. » Ah, Condesa, es ist gut, dass ich Euch treffe, sehr gut sogar!«
Mila dachte daran, wie sehr es der Gelehrte an Respekt gegenüber Schamasch hatte fehlen lassen, und begrüßte ihn nur mit einem kühlen Nicken. Falls Albrecht von Straßburg das bemerkte, machte es ihm nichts aus. Er rief: » Ihr müsst mit Nabu und Marduk reden, wollt Ihr mir den Gefallen tun?«
» Reden? Worüber denn, Meister Albrecht?«
» Über Schamasch, den armen Schamasch. Eigentlich suche ich den Hochmeister, doch der ist beschäftigt und will mich nicht sehen. Kommt!«, rief er und griff sie am Arm.
Mila blieb stehen: » Ich werde Euch nicht helfen, wenn Ihr vorhabt, die Ruhe des Verstorbenen zu stören«, erklärte sie entschieden.
Der Alchemist blieb notgedrungen ebenfalls stehen. » Wie? Ihr werdet nicht? Wirklich nicht? Aber die Wissenschaft, Comtesse, die Wissenschaft!«
» Ihr solltet den Toten mehr Achtung entgegenbringen, Meister Albrecht, oder gehört Ihr etwa zu jenen verwerflichen Männern, die nachts auf Friedhöfen Leichen stehlen, um sie aufzuschneiden?«
» Wie? Aber nein, Comtesse! So etwas käme mir nie in den Sinn. Das Leichenfleddern und Menschenaufschneiden überlasse ich den Ärzten, doch ein Drache, Comtesse, ein leibhaftiger Drache! Wisst Ihr nicht, wie selten es vorkommt, dass ein Mann wie ich, ein Mann der Wissenschaft, den Leib eines Drachen untersuchen kann?«
Der Gelehrte schien vor Begeisterung schier außer sich zu sein, und bevor Mila über seine Frage auch nur nachdenken konnte, fuhr er schon fort: » Als die Franzosen den Templerorden zerschlugen, da haben sie ihre drei letzten Drachen vergiftet – aber weil es heimlich geschah und der König nicht wollte, dass es ruchbar wurde, haben sie die Leichname ins Meer geworfen, ins Meer, Comtesse! Könnt Ihr Euch diese Verschwendung vorstellen? Und bei Tannenberg, als die Polen und Litauer mit ihren neuen Drachenbüchsen vier Drachen erlegten – da haben sie sie anschließend gleich verbrannt, weil sie sie in ihrem Aberglauben für Kinder des Teufels hielten! Der letzte bezeugte Fall, bei dem der Kadaver eines Drachen gründlich untersucht werden konnte, war nach dem Fall von Jerusalem, durch die Sarazenen. Saladin selbst soll sich das Blut des Drachen gesichert haben.«
» Nun, Ihr seid nicht Saladin und wir keine Sarazenen. Und es wäre mir lieb, Ihr würdet den Leichnam nicht als Kadaver bezeichnen!«
Der Alchemist murmelte eine Entschuldigung, dann seufzte er und sagte: » Schade, Ihr wart gewissermaßen meine letzte Hoffnung, Comtesse. Und glaubt mir, ich wollte Eure Gefühle nicht verletzen. Wisst Ihr, ich vergesse gelegentlich über meiner Forschung, wie nah Euch die Drachen stehen.«
Mila schüttelte den Kopf. » Ich verstehe auch gar nicht, was Ihr Euch davon versprecht. Es ist doch nur ein Leib, eine sterbliche Hülle, wie die eines Menschen oder eines Tieres, mit Haut, Haaren, Herz und Hirn. Seine Seele ist fort.«
Der Alchemist trat einen Schritt zurück, und Mila konnte es zwar nicht sehen, hatte aber deutlich das
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