Drachensturm
umhingekommen, darauf hinzuweisen, wie kostbar – und kostspielig – dieses Stück venezianische Spitze gewesen war: eine unüberhörbare Mahnung, es nicht zu verlieren. Ihre Mutter hatte immer leicht nach Äpfeln geduftet, daran erinnerte sich Mila in diesem Augenblick. Sie war in Versuchung, an der Augenbinde zu schnuppern, obwohl sie natürlich wusste, dass jetzt, drei Jahre, nachdem sie dieses kostbare Stück Stoff bekommen hatte, keine Gerüche, sondern nur noch Erinnerungen daran hafteten. Vor fünfzehn Monaten war ihre Mutter an einem plötzlichen Fieber verstorben. Was sie wohl dazu sagen würde, dass mich die Indios wegen dieses Stück Stoffs für eine Königin halten?, fragte sich Mila. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkte, dass ihr Großonkel ihre Kammer betreten hatte. » Dieses Stück Stoff hat wirklich eine erstaunliche Wirkung«, sagte er.
Mila zuckte erschrocken zusammen. Die Augenbinde rutschte ihr aus den Händen und fiel zu Boden.
» Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte der Hochmeister und klang sehr verlegen. Sie sprang aus der Hängematte, bückte sich und begann den Boden abzutasten. Ihr Onkel tat einen Schritt nach vorn, besann sich dann aber eines Besseren und sagte nur: » Etwas weiter links, Mila.«
Mit zitternden Fingern ertastete sie das Stück Stoff, hob es auf und drückte es an sich. Für einen winzigen Moment hatte sie eine ganz unerklärliche Angst befallen, sie könnte es für immer verloren haben.
» Wenn die Stadt erst einmal sicher in unseren Händen ist, werde ich Dietmar bitten, sie zu waschen«, sagte Maximilian von Friedberg jetzt und klang betreten.
» Ist sie so schmutzig?«, fragte Mila.
» Oh, nicht sehr, ein wenig Ruß und Staub. Etwas Wasser würde ihr sicher nicht schaden«, sagte der Hochmeister, und obwohl das im Grunde genommen eine Nichtigkeit war, fühlte Mila sich plötzlich todunglücklich. » Ich sehe das nicht«, erklärte sie.
Jetzt war der Hochmeister offenbar noch verlegener. » Es ist wirklich nicht so schlimm, Mila, und sie schmückt dich wie eine Königin. Aber ich bin eigentlich nicht gekommen, um mit dir über Fragen der Mode zu sprechen.«
Mila schwieg. Sie hatte sich wieder beruhigt. Die Augenbinde lag in ihren Händen. Nur für einen Moment hatte sie sich sehr verloren gefühlt.
» Ich bin vielmehr hier, weil ich dich bitten muss, dich in Zukunft etwas zurückzuhalten, Milena«, erklärte der Hochmeister jetzt.
» Zurückhalten?«, fragte Mila erstaunt.
» Ja, es ziemt sich nicht, dass du dich in die Beratungen des Ordens einmischt.«
Sie nahm an, dass er ihren kleinen Disput mit dem Tressler meinte. » Aber ich hatte nun einmal etwas gehört, das konnte ich doch nicht unerwähnt lassen, auch wenn Graf Tassilo das nicht gefällt. Er hat doch Konrad sogar Unrecht getan.«
» Dennoch!«, sagte der Hochmeister streng. » Keiner unserer Ritter hätte gewagt, was du dir herausgenommen hast. Wenn du etwas zu sagen hast, steht es dir frei, jederzeit zu mir zu kommen, aber bitte, bring mich nicht wieder in solch eine Verlegenheit. Und es geht nicht nur um diesen Zwischenfall, sondern auch um dein Auftreten insgesamt.« Ihr Großonkel seufzte. » Schau, Mila, die Ritter kennen und achten dich, wie auch die übrigen Männer, aber bald sind Pizarro und seine Leute hier, und das bereitet mir Sorgen. Oder ist dir entgangen, wie sie mit den Frauen der Indios in San Miguel umgegangen sind?«
» Aber du hast das doch unterbunden, Onkel«, rief Mila.
» Und ich habe keine Zweifel daran, dass sie das zügellose Leben wieder aufnehmen, sobald ich nicht in der Nähe bin, ja, vielleicht werde selbst ich diese schlimmen Übergriffe nicht auf Dauer verhindern können.«
» Und du glaubst, was sie den armen Indio-Frauen antun, das könnte auch mir …«
» Nein, natürlich nicht!«, unterbrach sie der Hochmeister scharf. » Sie sind doch wohl noch nicht so verdorben, dass sie sich an einer Gräfin vergreifen werden. Ich bin vielmehr besorgt, dass du dich wieder zur Unzeit einmischen und dich und mich damit in Schwierigkeiten bringen wirst.«
Jetzt wurde Mila zornig: » Aber bist du nicht der Oberste Richter dieser Länder? Kann es da schaden, wenn ich dir …«
Ihr Onkel schnitt ihr erneut das Wort ab: » Natürlich, ich bin der Adelantado von Neu-Kastilien, ein wahrlich klangvoller Titel, aber dennoch bin ich Pizarro unterstellt. Die Juristen des Kaisers haben sich wirklich alle Mühe gegeben, die Lage so kompliziert wie
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