Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
Vom Netzwerk:
getäuscht hatte. In die Decke waren schwere Steinplatten eingelassen – der Durchlass war verschließbar, und wer immer es bis hierherschaffte, würde im zurückgestauten Kanal jämmerlich ertrinken. Er entdeckte oben zwei schmale Einschnitte, die dann immer noch ein wenig Wasser hindurchlassen würden. Die Chimú schienen an alles gedacht zu haben, und es war sein Glück, dass die Verteidigung dermaßen vernachlässigt worden war.
    Er musste tauchen und Sand zur Seite schaufeln, um das Gatter zu untersuchen. Beinahe alle Stäbe waren angefault. Er tauchte dreimal und hatte schon fast genug davon gelockert, um hindurchzuschlüpfen. Er arbeitete vorsichtig, denn ihm war klar, dass treibendes Holz auf dem Wasser seine Anwesenheit verraten konnte, und er wusste nicht, was ihn auf der anderen Seite des Gatters erwartete. Pitumi hatte ihm gesagt, dass die Mondfestung bis auf den Tempel für den Chimú-Mondgott Si beinahe verlassen war. Angeblich lebten nur noch eine Handvoll Tempeljungfrauen und ein Priester dort. Und ein Priester war genau, was Kemaq brauchte. Natürlich war seine Nachricht eigentlich für den obersten Diener Intis bestimmt, aber es war nicht ausgeschlossen worden, dass er sie auch einem anderen Gottesdiener überbringen durfte – und Intis Tempel lag laut Pitumi ganz im Süden dieser weitläufigen Stadt, über der die Götter kreisten. Er tauchte noch einmal, brach eine weitere Stange dicht über dem Boden ab und begann dann vorsichtig, sie zur Seite zu biegen. Es sah so aus, als würde er hindurchpassen, aber nach den Erfahrungen am ersten Gatter kehrte er erst noch einmal zurück an die Oberfläche, um seine Lunge mit Luft zu füllen. Auf der anderen Seite schien alles ruhig. Die Sonne senkte sich bereits im Westen, und eine Seite des Kanals lag im Schatten. Kemaq holte tief Luft, tauchte unter, brach vier Stäbe ab und zwängte sich hindurch. Aufgewirbelter Sand trübte das Wasser. Kemaq tauchte zur Wand des Kanals. Erst dort steckte er den Kopf aus dem Wasser, holte Luft, sah sich um – Stille. Jedenfalls beinahe. Der Fluss murmelte leise, und da war noch ein anderes Geräusch. Es klang beinahe nach menschlichen Stimmen, aber es war so weit weg, dass sich Kemaq nicht sicher war.
    Als der Hochmeister gegangen war, fragte sich Mila, was sie verkehrt gemacht hatte. Sie hatte nur helfen wollen, das konnte doch nicht falsch sein. Es war ihr schwer genug gefallen, die Aussage des verabscheuungswürdigen Konrad zu bestätigen. Mila schüttelte verärgert den Kopf. Vermutlich meinte es ihr Großonkel nur gut mit ihr, aber sie hatte den Verdacht, dass Graf Tassilo sich über sie beschwert hatte.
    Wieder einmal fragte sie sich, was die Ursache für dieses kaum kaschierte Zerwürfnis zwischen dem Tressler und ihrem Onkel war. Eine Weile saß sie in der Hängematte und lauschte in die Finsternis. Dann schüttelte sie den Kopf, um das bedrückende Gefühl loszuwerden, und erhob sich. Sie trat ans Fenster, die kostbare Augenbinde immer noch in der Hand, und ließ eine leichte Brise, die um die Ecke des Palastes zog, ihre Augen streicheln. Sie mochte den Wind – er trug Gerüche und Geräusche aus der Dunkelheit heran, die sie umgab, und verriet ihr auf diese Weise etwas über die Welt, die sie nicht sehen konnte. Sie roch das Meer. Auf dem Meer war es noch besser, dort war das ewige Rauschen der Wellen ein Klangteppich, der ihr ein Gefühl von Weite gab, das sie sonst nie verspürte, endete die Welt doch stets hinter der Spitze ihres weißen Stabes. Der Wind kam aus Süden, das würde die Ankunft der Flotte weiter verzögern. Im Moment war sie darüber nicht besonders unglücklich. Sie blieb eine Weile stehen und lauschte. Sie hörte einen der Drachen, wie er in großen Schlucken aus dem Kanal trank, der ihre Festung durchzog. Es klang nach Behemoth. Sie lauschte und verharrte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Nun, es war vermutlich nichts. Sie legte sich die Augenbinde über die Stirn, seufzte, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, sie sei nicht sauber genug, drehte sich um und rief nach Dietmar. Eigentlich könnte er doch schon jetzt etwas Wasser holen und wenigstens den Staub aus dem Stoff waschen. Und was die Zurückhaltung anging – ihr Onkel war vermutlich einfach zu vorsichtig. Er wollte sie beschützen, weil sie blind war. Sie würde ihm schon noch beweisen, dass das nicht nötig war.
    Beiderseits des Kanals konnte Kemaq die Mauern von Gebäuden sehen. Er überlegte, ob

Weitere Kostenlose Bücher