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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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die einen Mann fraß.
    » Sie sind alt und halb vergessen«, lautete die ausweichende Antwort. » Sie zeigen Tamachoc, den Gott des Regens. Aber niemand betet noch zu ihm.«
    » Aber du bist ein Priester, und du warst dort.«
    » Ein Priester der Mondgöttin, und es ist ihr Tempel, nicht der von Tamachoc. Und ich bin der Letzte, der den alten Tempel noch pflegt«, antwortete der Mann verlegen.
    » Aber die Bilder zeigen eine große Schlange, oder?«
    Der Indio zögerte, und Mila war sich sicher, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte, als er antwortete: » Die Regenschlange – ein Gott, der von anderen entthront wurde.«
    » Und der Mann mit dem Stein, den sie zu fressen droht?«, fragte der Hochmeister.
    Mila wunderte sich, warum sich ihr Großonkel für so eine Nebensächlichkeit interessierte, und der Indio antwortete: » Das weiß ich nicht, Herrin, denn die Männer, die diese Bilder fertigten, sind schon lange tot und vergessen.«
    Mila kam eine andere Frage in den Sinn: » Sag, Qumacan, diese Stadt ist groß, zu groß für die wenigen Menschen, die hier leben. Was ist hier geschehen?«
    Der Indio antwortete, ohne zu zögern, und es lag Wehmut in seiner Stimme: » Dies war die große Stadt der Chimú, Chan Chan, die Stadt der Städte. Doch die Söhne der Sonne sahen, dass unsere Handwerker besser waren als ihre eigenen, unsere Felder reicher trugen als die ihren und unsere Fischer mehr fingen als die, die sie selbst aufs Meer hinausschickten. Also kamen sie und belagerten die Stadt. Und als unsere Ahnen zu tapfer für sie waren, gruben sie dem Fluss das Wasser ab, und so eroberten sie auch das große Chan Chan, und sie befahlen unseren Fischern, Bauern und Handwerkern, ihre Hütten zu verlassen und in den Städten der Inka ein neues Leben zu beginnen. So wie sie es immer tun.« Der Mann sprach so ruhig, als sei diese Grausamkeit etwas Selbstverständliches, und fuhr dann fort: » Dann gefiel es dem Sapay Inka, einen Krieg gegen seinen Bruder zu beginnen, und Atahualpa kam auch in diese Stadt und nahm fast alle jungen Männer mit, denn er brauchte viele tapfere Krieger. Doch waren es weniger, als er gehofft hatte, denn die Strafe der Götter, eine schlimme Seuche aus dem Norden, hatte viele von uns getroffen und hinweggerafft. Und so, Herrin, kommt es, dass du nur noch in jeder zehnten Hütte Bewohner findest. Aber es mag sein, dass der Krieg nicht alle unsere jungen Männer verschlungen hat und sie bald zurückkehren, denn Atahualpa hat seinen Bruder besiegt und gefangen genommen. So hat das Blutvergießen endlich ein Ende.«
    Mila übersetzte, und der Hochmeister sagte: » Nun verstehe ich, dass so wenige Krieger auf den Mauern waren. Frag ihn noch einmal nach der Regenschlange.«
    Den Indio schien diese Frage in Verlegenheit zu bringen. » Früher brachte die Regenschlange den Regen über die Berge, doch Inti hat sie besiegt, und so erscheint sie nicht mehr. Der Fluss bringt uns noch Wasser, aber unsere Kanäle versanden, denn uns fehlen die Arme, sie freizuhalten.« Und mehr wollte der Priester nicht dazu sagen.
    » Von jenseits der Berge …«, murmelte der Hochmeister nachdenklich, als Mila übersetzt hatte.
    » Sicher nur ein heidnischer Aberglaube«, meinte Fray Celso. » Ihr habt die Berge doch gesehen. Sie sind höher, viel höher als die Wolken. Wie sollte der Regen sie überwinden?«
    Das Gewirr von Ästen und Schilfbündeln sah nicht sehr vertrauenerweckend aus. » Bist du sicher, dass es mich bis in die Stadt trägt?«, fragte Kemaq. Der Brei der Chachapoya hatte Wunder gewirkt. Er fühlte sich gestärkt und frisch, aber doch nicht stark genug, stundenlang zu schwimmen.
    » Versuche es. Wenn es dich jetzt über Wasser hält, wird es das auch tun, bis du dein Ziel erreicht hast«, antwortete Pitumi mit einer gewissen Gleichgültigkeit.
    Kemaq stieg hinab ins kalte Wasser, legte sein Gewicht auf das Bündel und versuchte es. Es trug.
    » Siehst du«, sagte die Heilerin.
    Aber Kemaq war nicht überzeugt, er zupfte hie und da noch etwas am Schilf herum.
    » Du solltest endlich aufbrechen, Chaski, es ist schon weit nach Mittag«, meinte Pitumi, als er kein Ende bei diesen kleinen Verbesserungen fand.
    Kemaq nickte seufzend. » Wirst du morgen auch hier sein, wenn ich zurückkehre?«, fragte er.
    Sie zuckte mit den Achseln. » Ich werde nach dem anderen Läufer sehen, vielleicht auch nach dem Chimú, von dem du mir erzählt hast, obwohl er meine Hilfe wohl nicht verdient hat. Ob ich dann noch bleibe, das

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