Drachentau
neu.
Am Morgen stand Jakob wieder früh auf. Diesmal kochte er sich einen Kaffee, bevor er zum Dorfplatz ging. Nachdenklich saß er am Küchentisch. Verdammt, wo blieb nur Eschagunde? Warum kam sie nicht? Was sollte er den anderen sagen? Er hatte nie dringender ihren Rat gebraucht. Und was war mit Rosa? War Tumaros dabei, sie zu verzaubern? Eschagunde musste sie mit einem Gegenzauber schützen. Er ahnte Schlimmes, wenn sie nicht kam. Schon öfter hatte man gehört, dass Drachen Bären mit einem Zauberbann in ihre Höhlen befehlen. Aber noch nie von einem, der von dort zurückgekehrt ist.
Auf dem Dorfplatz traf er Mischa und die anderen Ratsmitglieder. Diesmal ging die Besprechung schnell. Sie würden bei ihrem Plan bleiben, einerseits fluchtbereit zu sein, aber das Dorf, wenn möglich, nicht zu verlassen.
Sie waren darauf gefasst, angegriffen zu werden, ihre Hütten im Feuer zu verlieren, ja auch, dass einige sterben würden. Aber auf das, was dann tatsächlich geschah, war niemand gefasst. Es geschah nichts. Fast nichts. Tumaros flog Abend für Abend über sie hinweg. Das war alles. Nach zwei Wochen verließen Bären das Dorf, weil sie die Ungewissheit nicht aushielten.
»Ihr könnt jederzeit zurückkommen«, sagte Mischa zum Abschied. »Wir werden euch helfen, so gut es geht.«
Die Zurückgebliebenen waren umso entschlossener, im Dorf zu bleiben. Tumaros spürte, dass seine nächtlichen Überflüge für sehr viel Unruhe und Angst sorgten. Das hätte ihn sonst gefreut, aber diesmal geriet er in Sorge, ob Rosa nicht auch ginge. Deshalb flog er nur noch einmal in der Woche und schließlich einmal im Monat. So verging ein ganzes Jahr. Ein Jahr, in dem sie immer wieder nachts aus den Betten sprangen, um zu sehen, dass nichts geschah. Ein Jahr, in dem jede Nacht jemand Wache hatte und sich davor fürchtete, die Glocke läuten zu müssen. Ein Jahr, in dem jeden Tag ein Bär zum geheimen Gehege ging und die Tiere versorgte. Ein Jahr, in dem die Bärenkinder wie an jedem ganz normalen Tag auf der Straße spielten. Ihr neustes Spiel hieß Flucht vor dem Drachen. Aber auch ein Jahr, in dem Jakob täglich auf Eschagunde wartete. Was war bloß geschehen? Warum kam sie nicht?
Ein Jahr, in dem Rosa jeden Tag versuchte, nicht an Tumaros zu denken, nicht ahnend, dass mit jedem Gedanken an ihn der Zauber seine Wirkung stärker entfaltete. Nicht mehr lange und die Sehnsucht, ihn zu sehen, würde übermächtig werden. Dann war seine Stunde gekommen.
Augenblick
Der erste Sonnenstrahl erlöste Rosa aus einer schlaflosen Nacht. Unentwegt hatte sie an Tumaros denken müssen. Längst hatte sie den Rhythmus seiner Überflüge erkannt und wusste genau, wann er kam. Heute Nacht würde es wieder so weit sein. In ihrem Herzen brannte der Wunsch, ihn noch einmal zu sehen. So wie vor einem Jahr, als er über sie hinwegflog. Sie wusste, wie grausam und gefährlich er war, aber sie konnte sich nicht dagegen wehren, immer wieder an ihn zu denken. Heimlich schaute sie aus dem Fenster, wenn sie sein Kommen erwartete, nicht ahnend, dass Tumaros ihren Herzschlag hörte, ihren Wunsch, ihn zu sehen spürte.
Rosa stand auf und ging ans Fenster. Über dem Wald sah sie den einsamen Berg, umhüllt vom Glanz der aufgehenden Sonne.
Tumaros
... Sie riss sich los. Nicht schon wieder an den Drachen denken.
In der Küche saß Jakob beim Frühstück. Er schaute auf, als Rosa hereinkam, sah ihr müdes Gesicht. »Hast du nicht gut geschlafen?«
»Doch - nein – schon – nur schlecht geträumt.« Rosa setzte sich zu ihm.
»Vom Drachen?«
»Vom Drachen? Nein. Ach, ich weiß es nicht mehr.«
Jakob suchte ihren Blick, aber sie schaute auf den Tisch. »Er geht dir nicht aus dem Kopf, was?«
»Großvater, bitte, lass uns nicht wieder über den Drachen reden. Es reicht doch, dass er ständig über unsere Hütte fliegt.« Rosa wusste nicht mehr, wie sie ihre Gefühle für Tumaros verbergen sollte. Beide schwiegen eine Weile.
»Ich habe Lena und Boris herbestellt. Sie werden heute oder morgen ankommen.«
Rosa war überrascht. »Mama und Papa? Das ist doch schön. Warum sagst du es so ernst?«
»Sie kommen, um dich zu holen. Ich will, dass du das Dorf verlässt.«
Rosa machte sich steif. »Ich werde nicht gehen.«
»Doch, das wirst du!«
»Nein!«
»Rosa, der verdammte Drache hat es auf dich abgesehen.«
»Der verdammte Drache hat es auf uns alle abgesehen. Dies ist mein Zuhause. Ich gehe hier nicht weg.«
»Sei doch vernünftig, Kind. Du musst
Weitere Kostenlose Bücher