Drachentau
Bernhard huckepack. Letizia zog sie schon fast an der Hand hinter sich her. Die Füße schmerzten heftig.
Die Dämmerung setzte ein und der Wald wurde immer dunkler. Auch das trieb sie voran. Der Himmel färbte sich rot, als endlich der Berg vor ihnen lag. Mit dem letzten Sonnenstrahl setzten sie den Fuß in die Höhle. Es war stockdunkel. Keine einzige Fackel brannte. Rosas Herz begann wild zu schlagen. Langsam gingen sie in die Höhle hinein. Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Die aufgehende zarte Mondsichel tauchte die Höhle in ein blasses, fades Licht. Dann sah Rosa ihn. Tumaros stand direkt vor ihr, den Kopf gesenkt, die Augenbrauen eng zusammengezogen, leise knurrend. Schweiß perlte von Rosas Stirn.
»Lauft in eure Höhle«, sagte sie zitternd. Die drei verschwanden. Bernhard schlief auf ihrem Arm. Tumaros beachtete die Kinder nicht.
»Du kommst spät«, sagte er leise.
Rosa schluckte. »Ich habe mich beeilt, so gut ich konnte. Entschuldige bitte.«
Tumaros ging einen Schritt auf sie zu. Rosa wich zurück.
»Du hast mit ihnen gesprochen.«
»Nein ... wirklich ... nur das Nötigste ... bitte glaub mir.« Tränen stiegen in ihre Augen.
»Sie haben dich angefasst.«
»Ich ...»
»Schweig! Ich kann sie riechen. Alles an dir riecht nach ihnen. Du stinkst!«
Sie schaute auf den Boden. »Bitte verzeih mir«, flüsterte sie.
»Du hast mich warten lassen. Den ganzen Tag. Was glaubst du, wer du bist?«
Rosa fühlte sich der Ohnmacht nah. Zitternd legte sie Bernhard auf den Boden. Erschrocken öffnete er die Augen und krabbelte an die Höhlenwand.
Dann ging es los. Tumaros stieß einen Feuerstrahl aus. Erst an die Decke. Dann knapp an Rosa vorbei. Rechts. Links. Traf sie am Arm. Am Kopf. Überall. Sie versuchte zu entkommen. Schrie. Bettelte. Schluchzte. Schlug die Flammen auf ihrem Körper aus.
Bernhard kauerte in einer Nische und sah hilflos zu. Dann ballte er die Fäuste, rannte auf Tumaros zu und trommelte auf ihn ein. »Lass meine Mama in Ruhe! Lass meine Mama in Ruhe!«
»Lass das Bernhard!«, schrie Rosa. »Komm da weg!«
Der Drache ließ seine Schwanzspitze auf ihn zu schnellen und schleuderte ihn gegen die Höhlenwand. Er schlug hart mit dem Kopf gegen den Felsen und sank bewusstlos zu Boden. Rosa wollte zu ihm eilen. Raffte sich hoch. Drei Schritte, der Schmerz nahm ihr die letzte Luft zum Atmen. Besinnungslos sank sie zu Boden.
Tumaros sah sie an und spuckte neben ihr aus. »Du taugst nichts mehr. Für gar nichts. Verdammt! Du gehörst mir!«
Die Mittagssonne stand hoch am Himmel, als Rosa wieder zu sich kam. Ihr ganzer Körper brannte. Sie versuchte, sich zu bewegen. Tausend Nadeln stachen sich in ihren Körper, schnürten ihren Hals zu. Sie blieb liegen, versuchte den Kopf zu drehen und sah sich um. Neben ihr lag Bernhard. Stöhnend setzte sie sich auf.
»Bernhard, Schatz. Wach auf! Komm! Mach die Augen auf.«
Bernhard blinzelte. »Mein Kopf tut weh.«
Er setzte sich auf, sah Rosa an und schlang seine Arme fest um ihren Hals. Es schmerzte, aber sie ließ es zu und drückte ihn an sich.
Bernhard schluchzte. »Ich hatte solche Angst, Mama. Ich hatte solche Angst, dass du stirbst.«
Rosa biss die Zähne zusammen und drückte ihn fest an sich. »Keine Angst, Schatz. Drachen trennen sich nicht von ihrem Besitz. Es ist vorbei. Komm, wir gehen nach hinten.«
Rosa, selbst kaum fähig zu gehen, trug ihren Sohn in die Bärenhöhle. Ella, Emil und Letizia saßen dicht beieinander gedrängt in der hintersten Ecke.
»Wir haben es geschafft, Kinder. Wir waren in der Schule. Nächste Woche gehen wir wieder.«
Keiner antwortete. Bernhard fasste sich an sein linkes Ohr. »Mein Ohr ist tot, Mama. Es hört nichts mehr.«
Mühlenau
Bodo sah Rosa hinterher, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann eilte er zu Emilia.
Sie hatte schon auf ihn gewartet. »Hast du etwas erreichen können, Bodo? Was hat Rosa gesagt?«
Die beiden setzten sich wieder vor das Kaminfeuer.
»Sie sieht furchtbar aus. Hätte sie nicht diese wunderschönen braunen Augen, hätte ich sie nicht mehr erkannt.«
Emilia nickte. »Es hat mir das Herz zerrissen, sie so elend zu sehen. Sie war die schönste Bärin im Dorf.«
»Für mich wird sie das immer bleiben. Soviel kann der Drache ihr nicht antun, dass ich aufhöre, sie zu lieben.«
»Sie ist eine Frau geworden, ihre Gesichtszüge sind sehr erwachsen. Ich möchte nicht wissen, was sie da oben aushält«, sagte Emilia nachdenklich.
»Doch, genau das
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