Drachentau
Bernhard. Ausgeruht stand er auf, streckte sich und sprang in den Mühlenbach. Das Wasser spülte auch die letzten Ameisen fort, kühlte die zahlreichen Stiche und stillte seinen Durst. Nahe dem Wasser fand er Früchte, genug für ein ausgiebiges Frühstück. Mit vollen Backen kauend, sah er sich um. Möchte wissen, welcher Zauber mich hierher gebracht hat, dachte er, oder wer mein Retter war, damit ich mich bedanken kann. Ab jetzt ist der Mühlenbach mein Weg. Durch das Wasser schritt er Richtung Osten zu seinem Dorf. Die Strömung nahm stetig zu und stellte sich Bernhard in den Weg. Aber er fühlte sich erfrischt und das Wasser bot Schutz vor den Finsterwaldbewohnern.
Gegen Mittag hatte er das östliche Ende des Waldes erreicht. Er bog nach links ab, ging am Waldrand weiter, bis er an den Mittelweg kam und Jakobs Hütte sichtbar wurde. Sein Herz pochte laut, als er die alte Bank sah und den Rauch, der aus dem Schornstein aufstieg.
»Ich habe es geschafft«, sagte er laut und rannte die letzten Meter. Atemlos klopfte er an Jakobs Tür. Der alte Bär hatte ihn nie gegrüßt und stets mürrisch angesehen. Aber tief in seinem Innern fühlte es sich richtig an, ihn um Hilfe zu bitten. Vielleicht konnte er ihm zumindest sagen, wo Bodo zu finden war.
Bodo
Frischer Kaffeeduft erfüllte Jakobs Hütte. Er saß am Küchentisch und ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Der Drachenberg leuchtete rot in der Morgensonne. Dort waren Rosa und seine Urenkel. Wie es ihnen wohl ging? Der Gedanke an ihren erbarmungswürdigen Zustand, in dem sie ins Dorf gekommen waren, schnitt ihm ins Herz. Warum nur hatte er nicht verhindern können, dass Rosa zum Drachen ging? Er hatte alles falsch gemacht. Viel zu spät hatte er Lena und Boris gerufen. Niemals hätte er mit Rosa streiten dürfen. Nur deswegen war sie weggelaufen. Auch Eschagunde hatte nicht helfen können. Warum sonst kam sie nicht zurück? Nein, er allein, Jakob, war verantwortlich und er hatte nicht nur Rosa verloren, er war jetzt auch noch mit diesem Ungeheuer verwandt. Er hatte sich das mit den Urenkeln anders vorgestellt, wollte Bodo zum Schwiegerenkelsohn.
Und Emilia? Durch sein Herz ging ein brennender Schmerz. Er liebte alles an dieser wunderschönen, intelligenten, sanften Bärin. Aber er durfte nicht lieben. So jemand wie Jakob blieb besser allein. Er senkte seinen Blick und schaute auf den Küchentisch. Hier hatte er mit Walburga, Lena, Boris und später auch mit Rosa oft gesessen. Sie hatten gelacht, gespielt, geschwatzt, Freuden und Tränen geteilt. Es war die schönste Zeit und er war unendlich glücklich. Jetzt war das alles nur noch Erinnerung. Ein Traum aus alten Zeiten, der im Licht der Gegenwart schmerzte.
Jakob seufzte. Er goss sich Kaffee nach und überlegte, was zu tun sei. Eigentlich nichts.
Vielleicht ist ein neuer Hühnerstall mal fällig,
dachte er,
ist wenigstens ein Zeitvertreib.
Wildes Klopfen an die Fensterscheibe riss ihn aus seinen Gedanken. Jakob blickte auf und zog die Augenbrauen hoch. Ein kleines grün gekleidetes Männchen mit Flügeln und Blumenhut schwirrte aufgeregt vor seiner Scheibe hin und her.
»Das gibt es doch nicht! Ein Blumenelf klopft an meine Scheibe!« Er stand auf und ging nach draußen, aber der Blumenelf war verschwunden. Schulterzuckend blickte er sich um und ging wieder hinein.
Auf seinem Küchentisch saß Lobelius mit verschränkten Armen. »Grüß dich, alter Bär, ich habe Neuigkeiten.«
Jakob lachte. »Nanu, Lobelius, dich habe ich Ewigkeiten nicht gesehen. Was führt dich früh am Morgen hierher?« Er setzte sich und holte tief Luft.
»Ein Bär ist aus der Drachenhöhle entkommen. Heute Morgen.«
Jakob pustete seine Backen auf. »Das ist wirklich eine Neuigkeit. Hast du es gesehen?«
Lobelius stand auf und schwirrte Jakob um die Nase. »Mit eigenen Augen. Seit Jahren beobachte ich die Drachenhöhle. Um genau zu sein, seit Eschagunde hineingegangen und nicht wieder herausgekommen ist. Ich habe den Zaubergang hinter einem Busch vermutet, der mitten in der Felswand wächst. Und genau so war es. Heute Morgen ist Bernhard dort herausgekommen.«
Jakob bot Lobelius seine Hand zum Sitzen an. »Bernhard? Der Kleinste von den Vieren? Der mit den blauen Augen?«
Lobelius landete auf Jakobs Schulter. »Ganz genau der. Tumaros hat ihn gesucht. Er ist wutentbrannt um den Berg geflogen. Kurz danach kam Bernhard aus dem Zaubergang gekrochen. Tumaros flog direkt auf ihn zu, doch kurz bevor er ihn entdeckte, ist er
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