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Drachentau

Drachentau

Titel: Drachentau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Roose
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musste es versuchen. Der Stamm war rau, bot Halt. Unbeholfen zog Bernhard sich nach oben, verfolgt von einer Schlingpflanze. Eine Krähe schimpfte über den ungebetenen Gast und warf unaufhörlich mit Eicheln. Wo hat sie die bloß alle her, dachte Bernhard, der seinen Kopf nicht schützen konnte und den Schmerz fluchend ertrug.
    Im Baumwipfel verjagte er die Krähe und sah sich um. Er hatte trotz aller Orientierungslosigkeit die Richtung behalten und beinahe die Hälfte des Weges geschafft. Die Nacht würde er hier oben bleiben. Er lehnte sich an den Stamm und brachte sich in eine halbwegs bequeme Lage.
    Der Mond schien hell in einer wolkenlosen Nacht und gab einen gespenstischen Blick über den Finsterwald frei. Unter sich hörte Bernhard es grunzen, knurren, fauchen, trampeln und rascheln. Tiere, die Beute geworden waren, quiekten herzergreifend. Üble Gerüche stiegen auf. Eine süßlich dicke Mischung aus Verwesung und Gülle, die Bernhard widerwillig einatmete. Ameisen und anderes Getier kletterten den Baum herauf, krochen über sein Fell und bissen ihn. Er versuchte sie abzuwehren und schlug nach ihnen. Aber sie waren zu viele. Bald schon juckte und brannte sein ganzer Pelz.
    Mit Sehnsucht erwartete er den ersten Sonnenstrahl. Doch er brachte keine Erlösung, nur das Signal zum Aufbruch. Bernhard kletterte den Baumstamm hinunter und ging weiter Richtung Süden. Durst brannte in seiner Kehle. Erschöpfung breitete sich wie eine Grippe in ihm aus. Mit müder Hand wehrte er das Ungeziefer ab oder schlug mit seinem Messer die Schlingpflanzen von seinen Füßen.
    Als die Sonne erneut unterging, hatte er noch immer ein Viertel des Weges vor sich. Bernhard suchte völlig entkräftet nach einem geeigneten Lager für die Nacht. Alle Bäume hier waren noch jung und ihre Stämme dünn. Die Dunkelheit kam rasch. Er blieb stehen und sah sich um. Die nächste alte Eiche war nur zehn Meter entfernt. Aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Er sah sie nicht und sank auf den Boden.
    Der Waldboden war kühl und weich. Bernhard atmete auf. Doch ehe er sich versah, kamen aus allen Richtungen Schlingpflanzen und krochen um seinen Körper. Er griff sein Messer und hieb auf sie ein. Für jede, die er abschlug, griffen zwei neue nach ihm, bis er sich nicht mehr bewegen konnte. Sein Herz raste. Der Boden unter ihm wurde weicher, öffnete sich und sog ihn ein. Tausend Finger bewegten sich tastend und suchend über seinen Körper. Sand rieselte über ihn herein, begrub ihn, bis er ganz und gar im Waldboden verschwunden war.
    Schwer atmend verlor er beinahe die Besinnung, nahm nur noch aus weiter Ferne Getrappel wahr, dass immer lauter wurde und sich zu Kampfgeräuschen verdichtete. Er hörte genauer hin. Pferdegetrappel, Wiehern und Fauchen drangen an sein Ohr. Er spürte Tritte über sich. Bernhard dachte an seine Familie. Jetzt litten sie seinetwegen umsonst. Sie würden nie erfahren, was aus ihm geworden war. Er konnte nur hoffen, dass er tot wäre, bevor sie ihn fraßen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er schluchzte und bereute es sofort, weil er nun Erde im Mund hatte.
    Die Kampfgeräusche über ihm wurden lauter. Mit einem Mal setzten sie aus.
Mama, bitte hole mich hier raus,
war sein letzter Gedanke, als er in einen Strudel fiel, der ihn immer tiefer zog. Er spürte nicht mehr, wie die Erde über ihm lichter wurde, eine kräftige Hand ihn packte, aus seinem Grab zog und über das Hinterteil eines Pferdes legte.
    Im wilden Ritt ging es nach Süden, alle Hindernisse überspringend, Pflanzen niedertrampelnd, auf engen Pfaden, für Menschen- und Bärenaugen unsichtbar. Am Mühlenbach hielt der Waldreiter an und hob Bernhard vom Pferd. Nahe am Wasser legte die große, schwarze Gestalt mit langem Mantel ihn nieder, stieg auf ihren Rappen und verschwand. Genauso plötzlich, wie sie gekommen war.
    Wasserplätschern weckte Bernhard. Wie eine leise Melodie drang es an sein Ohr. Seine Kehle brannte. Er versuchte, sich zu bewegen. Langsam öffnete er die Augen. Sein Körper war frei. Er setzte sich auf und sah, woher das Geräusch kam. Im Mühlenbach spiegelte sich das Mondlicht. Er robbte zum Wasser und trank mit langen Zügen gierig aus seinen hohlen Händen. Dann ließ er sich Wasser über seinen geschundenen Körper laufen. Erschöpft legte er sich hin und schlief ein. Tausend Augen beobachteten ihn, aber gegen den Waldreiter, der in einiger Entfernung über Bernhard wachte, vermochten sie nichts auszurichten.
    Die Morgensonne weckte

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