Drachentau
trank. Sein Körper füllte sich. Sein trockener Mund sog das Wasser auf. Noch nie hatte es ihm besser geschmeckt.
Er stand auf und sah sich um. Die Sonne war hinter dem Berg versteckt, also war es die Westseite des Drachenberges. Er hatte diese Gegend noch nie gesehen. Kurz dachte er an Rosa und die Geschwister. Ob sie für seine Flucht büßen mussten? Schnell schob er die aufkommenden Bilder beiseite. Erst einmal musste er nach Osten ins Dorf. Nur wie?
Auf dem Drachenweg findet Tumaros mich sofort,
dachte er,
viel zu gefährlich.
Und durchs Unterholz? Bernhard schauderte es. Niemand wusste, wer oder was dort lebte. Wie sollte er bei Dunkelheit die Orientierung behalten? Wie sollte er sich vor einer Gefahr schützen, die er nicht kannte? Er ließ sich an einem Baum nieder und dachte nach. Guter Rat war teuer. Es war einfacher gewesen, aus der Drachenhöhle herauszukommen, als durch den Finsterwald hindurch.
Hoch oben im Baum saß Lobelius und beobachtete ihn. Das war eine Neuigkeit. Ein Bär war aus der Drachenhöhle entkommen. Er hatte gesehen, wie sich hinter dem Busch der Zaubergang öffnete und Bernhard herausgekrochen war. Dort oben hatte er ihn schon lange vermutet. Seit Eschagunde verschwunden war, hielt er hier Wache. Tumaros hatte Bernhard gesucht. Er war außer sich vor Zorn. Dass er plötzlich zurückflog, könnte ein Zeichen sein, dass Eschagunde noch lebte. Aber die anderen Bären waren in allerhöchster Gefahr. Wie lange würde die Tatsache, dass Tumaros sie für seinen Besitz hielt, ihnen das Leben retten?
Lobelius wusste jetzt, wie er in die Höhle hineinkam. Er musste so schnell wie möglich Hilfe holen, um Rosa aus der Höhle zu retten. Und Bernhard? Auch er würde ohne fremde Hilfe nicht durch den Wald kommen. Lobelius blickte zu ihm hinunter, als stünde auf seiner Stirn die Antwort. Seufzend löste er sein Beutelchen mit Sternenstaub von seinem Gürtel. Es war nicht mal mehr zur Hälfte gefüllt. Wenn der Staub verbraucht war, war auch sein Leben verwirkt. Aber ohne Sternenstaub konnte er nicht zaubern. Er nahm ein wenig in die Hand und streute ihn über Bernhard.
»Bitte schön, mein Freund«, sagte er leise, »ein Tarnzauber, hält vielleicht sechs Stunden. Mehr kann ich heute nicht für dich tun.« Unsichtbar flog er zu Bernhard hinunter und flüsterte: »Halte dich nach Süden bis zum Mühlenbach, gehe an ihm entlang zum Dorf«, in sein Ohr. Dann verschwand er nach Osten. Jakobs Hütte war sein Ziel.
Bernhard schaute verwirrt. Ihm war, als hätte jemand gesprochen. Er schüttelte den Kopf. Vielleicht war er es selbst und hatte nur laut gedacht. Aber nach Süden war gar keine schlechte Idee. Bodo hatte ihm vom Mühlenbach erzählt, der dort am Waldrand floss. Also auf nach Süden.
Bernhard kämpfte sich durch das Dornengestrüpp, um jeden Schritt ringend. Immer wieder bahnte er sich mit seinem Messer einen Weg. Dornen waren das Harmloseste, das sich ihm entgegen stellte. Er stieß auf Schlingpflanzen mit Widerhaken, die ihn festhielten. Auf Pflanzen, deren Blätter bei Berührung einen entsetzlichen Schmerz hinterließen. Pflanzen, die sich bewegten und ihn bei jedem Stopp umschlangen. Er konnte sich gerade noch befreien, bevor sie ihn ganz und gar zu einem Paket verschnürt hatten.
Höchstens ein Viertel des Weges hatte er zurückgelegt, als die Sonne schon weit über die Mittagszeit hinausging. Ein neues Ungemach tat sich ihm auf. Als wäre er eben erst sichtbar geworden, bewarfen ihn Rabenkrähen, die oben in den Bäumen saßen, mit Eicheln, Ästen und kleinen Steinen. Sie waren zielsicher und Bernhard musste sich eine Hand über den Kopf halten, um sich zu schützen. Hin und wieder hob er einen Stein auf und warf ihn zurück. Krähengelächter war die Antwort, denn stets verfehlte er sein Ziel. An manchen Stellen gab der Boden plötzlich nach, als wollte er ihn verschlucken und Bernhard hatte Mühe, wieder Grund unter die Füße zu bekommen. Die Nachmittagssonne brachte nicht mehr genug Licht und der Wald begann, sich in ein schwarzes Loch zu verwandeln.
Der Bär verlor die Orientierung. Er blieb stehen und schaute sich um. Wenigstens gegen die glotzenden Augen hatte er eine Waffe. Sie verschwanden, wenn er starr zurückblickte. Schon spürte er, wie eine Schlingpflanze sein Bein hinaufkroch. Unsanft hieb er mit seinem Messer auf sie ein. Stehen bleiben war tödlich. Weitergehen unmöglich.
Neben sich ertastete er einen Baum. Bernhard war noch nie auf Bäume geklettert. Er
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