Drachentau
hingehst«, flüsterte sie leise mit gebrochener Stimme, küsste sanft sein Gesicht und streichelte über seine Wange. Der Schmerz hämmerte gnadenlos in ihrer Brust. Bevor er sie zu überwältigen drohte, stand sie auf. Bernhard stand in der Tür und hatte sie mit tränennassen Augen stumm beobachtet. Sie blickten sich an.
»Komm, Bernhard, wir müssen uns jetzt um dich kümmern. Du kannst nicht hier bleiben. Die anderen Bären sind wütend auf den Drachen. Wenn sie dich sehen, werden sie es an dir auslassen.«
»Mit Recht tun sie das. Ich bin doch schuld an dem ganzen Mist.« Bernhard blickte auf den Boden. Emilia nahm seine Hände mit festem Griff und schaute ihm in die Augen.
»Warum denken alle, sie seien verantwortlich für das, was der Drache tut? Wer ist denn hier das Ungeheuer? Hör auf damit, dir das einzureden. Du bist ein Kind Bernhard. Es war richtig, dass du geflohen bist.«
Emilia nahm Jakobs Rucksack aus dem Schrank und packte eilig Lebensmittel hinein, alles, was Jakobs Vorratsschrank hergab. Eine Decke und eine kleine Lampe legte sie obenauf. Bernhard beobachtete sie und wagte nicht, etwas zu sagen.
Schließlich holte er tief Luft. »Wo soll ich denn hin, Emilia? Ich habe doch niemanden. Kann ich nicht bei dir bleiben?«
Emilia hielt inne. »Nein, auf keinen Fall kannst du hier bleiben. Das wäre dein sicherer Tod und meiner vielleicht auch. Du bist nicht allein Bernhard. Geh zu Lena und Boris, Rosas Eltern, ins Kupferdorf. Sie werden dich bei sich aufnehmen und dir helfen. Da bist du so sicher, wie es irgend geht.«
»Mamas Eltern? Sie hat nie von ihnen erzählt.«
»Es sind wunderbare Bären, deine Großeltern. Du bist dort willkommen.«
Emilia nahm Jakobs Mantel, zog ihn Bernhard über und half ihm, den Rucksack auf den Rücken zu nehmen. Sie begleitete ihn zum Waldrand, nahm ihn noch einmal lange in den Arm und küsste ihn auf die Stirn.
»Lauf zum Mühlenbach. Halte dich östlich. Laufe an ihm entlang. Nach drei Tagesmärschen wird er breiter, eine Brücke überquert ihn. Gehe über die Brücke. Bleibe auf dem Weg nach Süden. Nach weiteren zwei Tagen kommst du zum Kupferdorf. Dort suchst du Lena und Boris. Sage ihnen, wer du bist und dass ich dich geschickt habe. Erzähle ihnen auch, was mit Jakob geschehen ist.«
Bernhard nickte. Sein Herz brannte. Wie ein dunkler Schatten lagen die Ereignisse über ihm. Er schaute Emilia mit einem letzten, langen Blick an. Dann wandte er sich ab und ging am Wald entlang zum Mühlenbach.
Emilia blickte ihm nach, bis der Weg nach rechts um den Wald herum abbog und Bernhard zwischen dem Grün verschwand. Sie ging zurück in die leere Hütte, fiel in Jakobs Schaukelstuhl und starrte auf die erkalteten, verkohlten Holzscheite im Kamin.
Zu spät
Rosa stand am Waldrand und atmete die kühle, feuchte Nachtluft tief ein. Würzig schmeckte sie, nach Freiheit.
»Lass uns nicht länger warten und an Jakobs Hütte klopfen«, nickte Bodo ihr zu.
Die Trage ließen sie zurück. Auf Bodo gestützt ging Rosa den Mittelweg hinunter und öffnete mit klopfendem Herzen die Pforte im alten Lattenzaun. Die Hütte lag im Dunkeln. Das Mondlicht tauchte die Blumen am Weg in ein unwirkliches Grau. In der Ferne schrie ein Waldkauz. Rosa schaute auf die Eingangstür und fühlte sich plötzlich eigenartig verlassen.
»Ist lange her, nicht wahr?«, sagte Bodo. »Jakob wird sich freuen.«
Rosa nickte und klopfte an die Tür. Gespannt lauschte sie, aber nichts regte sich. Kein Laut. Alles blieb dunkel. Bodo hämmerte gegen die Tür. Stille.
»Er scheint nicht zu Hause zu sein«, sagte Bodo. »Lass uns hineingehen und nachsehen.«
Rosa nickte abermals, legte ihre zitternde Hand auf den Türknauf und öffnete sie. Jakobs vertrauter Geruch kam ihr entgegen. Sie atmete ihn tief ein. Tränen stiegen in ihre Augen. Bodo schob sie vorwärts. Rosa sah sich in der dunklen Hütte um.
»Nimm das hier«, reichte Bodo ihr eine Kerze, die die Hütte in ein gespenstisches, flackerndes Licht tauchte. Rosa spürte Angst in sich aufsteigen. Was, wenn Jakob nicht mehr da war? Sie wollte sich in einen der großen Sessel setzen, da entdeckte sie Emilia. Regungslos vor dem Kamin sitzend starrte sie in die kalte Asche.
Bodo ließ Rosas Hand los und ging zu ihr. »Emilia! Was machst du hier? Was ist passiert? Wo ist Jakob?«
Emilia rührte sich nicht.
Bodo packte ihren Arm und schüttelte sie sanft. »Emilia, wir sind es. Sag doch etwas! Warum sitzt du hier im Dunkeln?«
Rosa humpelte zu
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